Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.Das zwölfte Hauptstück. gen Zeitmaase fortbringen; da muß man freylich ganze halbe Täcte fahren las-sen, um sie von der offentlichen Schande zu retten. Allein wenn man einem wahren Virtuosen, der dieses Titels würdig ist, accompagniret; dann muß man sich durch das Verziehen, oder Vorausnehmen der Noten, welches er alles sehr geschickt und rührend anzubringen weis, weder zum Zaudern noch zum Eilen verleiten lassen; sondern allemal in gleicher Art der Bewegung fortspielen: sonst würde man dasjenige was der Concertist aufbauen wollte, durch das Ac- compagnement wieder einreissen. (e) §. 21. Uebrigens müssen bey einer Musik, wenn sie anders gut seyn solle, alle §. 22. (e) Ein geschickter Accompagnist muß also einen Concertisten beurtheilen können.
Einem rechtschaffenen Virtuosen, darf er gewiß nicht nachgeben: denn er würde ihm sonst sein Tempo rubato verderben. Was aber das gestoh- lene Tempo ist, kann mehr gezeiget als beschrieben werden. Hat man hingegen mit einem Virtuosen von der Einbildung zu thun? da mag man oft in einem Adagio Cantabile manche Achttheilnote die Zeit eines halben Tactes aushalten, bis er gleichwohl von seinem Paroxismus wieder zu sich kömmt; und es geht nichts nach dem Tacte: denn er spielt Recita- tivisch. Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck. gen Zeitmaaſe fortbringen; da muß man freylich ganze halbe Taͤcte fahren laſ-ſen, um ſie von der offentlichen Schande zu retten. Allein wenn man einem wahren Virtuoſen, der dieſes Titels wuͤrdig iſt, accompagniret; dann muß man ſich durch das Verziehen, oder Vorausnehmen der Noten, welches er alles ſehr geſchickt und ruͤhrend anzubringen weis, weder zum Zaudern noch zum Eilen verleiten laſſen; ſondern allemal in gleicher Art der Bewegung fortſpielen: ſonſt wuͤrde man dasjenige was der Concertiſt aufbauen wollte, durch das Ac- compagnement wieder einreiſſen. (e) §. 21. Uebrigens muͤſſen bey einer Muſik, wenn ſie anders gut ſeyn ſolle, alle §. 22. (e) Ein geſchickter Accompagniſt muß alſo einen Concertiſten beurtheilen koͤnnen.
Einem rechtſchaffenen Virtuoſen, darf er gewiß nicht nachgeben: denn er wuͤrde ihm ſonſt ſein Tempo rubato verderben. Was aber das geſtoh- lene Tempo iſt, kann mehr gezeiget als beſchrieben werden. Hat man hingegen mit einem Virtuoſen von der Einbildung zu thun? da mag man oft in einem Adagio Cantabile manche Achttheilnote die Zeit eines halben Tactes aushalten, bis er gleichwohl von ſeinem Paroxiſmus wieder zu ſich koͤmmt; und es geht nichts nach dem Tacte: denn er ſpielt Recita- tiviſch. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0291" n="263"/><fw type="header" place="top">Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck. </fw><lb/> gen Zeitmaaſe fortbringen; da muß man freylich ganze halbe Taͤcte fahren laſ-<lb/> ſen, um ſie von der offentlichen Schande zu retten. Allein wenn man einem<lb/> wahren Virtuoſen, der dieſes Titels wuͤrdig iſt, accompagniret; dann muß man<lb/> ſich durch das <hi rendition="#b">Verziehen,</hi> oder <hi rendition="#b">Vorausnehmen</hi> der Noten, welches er alles<lb/> ſehr geſchickt und ruͤhrend anzubringen weis, weder zum Zaudern noch zum<lb/> Eilen verleiten laſſen; ſondern allemal in gleicher Art der Bewegung fortſpielen:<lb/> ſonſt wuͤrde man dasjenige was der Concertiſt aufbauen wollte, durch das Ac-<lb/> compagnement wieder einreiſſen. <note place="foot" n="(e)">Ein geſchickter Accompagniſt muß alſo einen Concertiſten beurtheilen koͤnnen.<lb/> Einem rechtſchaffenen Virtuoſen, darf er gewiß nicht nachgeben: denn er<lb/> wuͤrde ihm ſonſt ſein <hi rendition="#b">Tempo rubato</hi> verderben. Was aber das <hi rendition="#b">geſtoh-<lb/> lene Tempo</hi> iſt, kann mehr gezeiget als beſchrieben werden. Hat man<lb/> hingegen mit einem <hi rendition="#b">Virtuoſen von der Einbildung</hi> zu thun? da mag man<lb/> oft in einem <hi rendition="#b">Adagio Cantabile</hi> manche Achttheilnote die Zeit eines halben<lb/> Tactes aushalten, <choice><sic>biß</sic><corr>bis</corr></choice> er gleichwohl von ſeinem <hi rendition="#b">Paroxiſmus</hi> wieder zu<lb/> ſich koͤmmt; und es geht nichts nach dem Tacte: denn er ſpielt <hi rendition="#b">Recita-<lb/> tiviſch.</hi></note></p> </div><lb/> <div n="3"> <head>§. 21.</head><lb/> <p><choice><sic>Ubrigens</sic><corr>Uebrigens</corr></choice> muͤſſen bey einer Muſik, wenn ſie anders gut ſeyn ſolle, alle<lb/> die Zuſammenſpielenden einander wohl beobachten und ſonderheitlich auf ihren<lb/> Anfuͤhrer ſehen: damit ſie nicht nur zugleich anfangen; ſondern damit ſie be-<lb/> ſtaͤndig in gleichem Tempo, und mit gleichem Ausdrucke ſpielen. Es giebt ge-<lb/> wiſſe Paſſagen bey deren Abſpielung man leicht ins Eilen geraͤth. Man er-<lb/> innere ſich nur des §. 38. im <hi rendition="#b">vierten Hauptſtuͤcke.</hi> Und im <hi rendition="#b">ſechſten</hi> und<lb/><hi rendition="#b">ſiebenden Hauptſtuͤcke</hi> hat man die Gleichheit des Zeitmaaſes mehr den ein-<lb/> mal eingeſchaͤrfet. Ferner muß man ſich befleiſſigen die <hi rendition="#b">Accorde</hi> ſchnell und<lb/> zugleich, die nach einem <hi rendition="#b">Puncte</hi> oder kleinen <hi rendition="#b">Soſpir</hi> folgenden kurzen No-<lb/> ten aber ſpaͤt und geſchwind wegzuſpielen. Man ſehe nur was ich im <hi rendition="#b">zwey-<lb/> ten Abſchnitte des ſiebenden Hauptſtuͤckes</hi> §. 2. und 3. gelehret habe;<lb/> man ſuche eben dort die Exempel nach. Wenn im Aufſtreiche, oder nach einer<lb/> kurzen Soſpir mehrere Noten abzugeigen ſind; ſo pflegt man ſie in einem Her-<lb/> abſtriche zu nehmen, und in einem Zuge an die erſte Note des folgenden Vier-<lb/> theiles zu hengen. Da muͤſſen die Zuſammenſpielenden beſonders einander be-<lb/> obachten, und nicht zu fruͤhe anfangen. Hier iſt ein Beyſpiel mit <hi rendition="#b">Accorden</hi><lb/> und <hi rendition="#b">Soſpiren</hi>.</p><lb/> <fw type="catch" place="bottom">§. 22.</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [263/0291]
Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck.
gen Zeitmaaſe fortbringen; da muß man freylich ganze halbe Taͤcte fahren laſ-
ſen, um ſie von der offentlichen Schande zu retten. Allein wenn man einem
wahren Virtuoſen, der dieſes Titels wuͤrdig iſt, accompagniret; dann muß man
ſich durch das Verziehen, oder Vorausnehmen der Noten, welches er alles
ſehr geſchickt und ruͤhrend anzubringen weis, weder zum Zaudern noch zum
Eilen verleiten laſſen; ſondern allemal in gleicher Art der Bewegung fortſpielen:
ſonſt wuͤrde man dasjenige was der Concertiſt aufbauen wollte, durch das Ac-
compagnement wieder einreiſſen. (e)
§. 21.
Uebrigens muͤſſen bey einer Muſik, wenn ſie anders gut ſeyn ſolle, alle
die Zuſammenſpielenden einander wohl beobachten und ſonderheitlich auf ihren
Anfuͤhrer ſehen: damit ſie nicht nur zugleich anfangen; ſondern damit ſie be-
ſtaͤndig in gleichem Tempo, und mit gleichem Ausdrucke ſpielen. Es giebt ge-
wiſſe Paſſagen bey deren Abſpielung man leicht ins Eilen geraͤth. Man er-
innere ſich nur des §. 38. im vierten Hauptſtuͤcke. Und im ſechſten und
ſiebenden Hauptſtuͤcke hat man die Gleichheit des Zeitmaaſes mehr den ein-
mal eingeſchaͤrfet. Ferner muß man ſich befleiſſigen die Accorde ſchnell und
zugleich, die nach einem Puncte oder kleinen Soſpir folgenden kurzen No-
ten aber ſpaͤt und geſchwind wegzuſpielen. Man ſehe nur was ich im zwey-
ten Abſchnitte des ſiebenden Hauptſtuͤckes §. 2. und 3. gelehret habe;
man ſuche eben dort die Exempel nach. Wenn im Aufſtreiche, oder nach einer
kurzen Soſpir mehrere Noten abzugeigen ſind; ſo pflegt man ſie in einem Her-
abſtriche zu nehmen, und in einem Zuge an die erſte Note des folgenden Vier-
theiles zu hengen. Da muͤſſen die Zuſammenſpielenden beſonders einander be-
obachten, und nicht zu fruͤhe anfangen. Hier iſt ein Beyſpiel mit Accorden
und Soſpiren.
§. 22.
(e) Ein geſchickter Accompagniſt muß alſo einen Concertiſten beurtheilen koͤnnen.
Einem rechtſchaffenen Virtuoſen, darf er gewiß nicht nachgeben: denn er
wuͤrde ihm ſonſt ſein Tempo rubato verderben. Was aber das geſtoh-
lene Tempo iſt, kann mehr gezeiget als beſchrieben werden. Hat man
hingegen mit einem Virtuoſen von der Einbildung zu thun? da mag man
oft in einem Adagio Cantabile manche Achttheilnote die Zeit eines halben
Tactes aushalten, bis er gleichwohl von ſeinem Paroxiſmus wieder zu
ſich koͤmmt; und es geht nichts nach dem Tacte: denn er ſpielt Recita-
tiviſch.
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