getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful- len. Befohlne, vom Throne her begünstigte blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei- nungen, ist eine fruchtbare Mutter der Heuche- lei und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver- folgung, solcher die gern ihres Glaubens leben möchten, erzeugt Missmuth und Abneigung. Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des menschlichen Geistes, für den, der sie anlegt, und für diejenigen, welche sie tragen müssen, gleich entehrend, und können in ihren Wirkun- gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli- gion muss Alles auf Gottes- und Menschen- liebe zurükführen. Hier gelten keine Zwangs- gesetze, sondern lediglich die Stimmung der allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze, der Fürst einem jeden, der denken, glauben und empfinden kann, so lange das Recht lassen wird, zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie auf den Verstand und das Herz eines jeden ge- wirket wird, biss er beweisen kann, dass sein Verstand übermenschlich sey, oder dass er ein mehr als menschliches Recht habe, auch da zu gebieten, wo die Kraft des menschlichen Geistes über jedes Gesetz erhaben ist!
(II. Band.) P
getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful- len. Befohlne, vom Throne her begünstigte blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei- nungen, ist eine fruchtbare Mutter der Heuche- lei und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver- folgung, solcher die gern ihres Glaubens leben möchten, erzeugt Miſsmuth und Abneigung. Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des menschlichen Geistes, für den, der sie anlegt, und für diejenigen, welche sie tragen müssen, gleich entehrend, und können in ihren Wirkun- gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli- gion muſs Alles auf Gottes- und Menschen- liebe zurükführen. Hier gelten keine Zwangs- gesetze, sondern lediglich die Stimmung der allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze, der Fürst einem jeden, der denken, glauben und empfinden kann, so lange das Recht lassen wird, zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie auf den Verstand und das Herz eines jeden ge- wirket wird, biſs er beweisen kann, daſs sein Verstand übermenschlich sey, oder daſs er ein mehr als menschliches Recht habe, auch da zu gebieten, wo die Kraft des menschlichen Geistes über jedes Gesetz erhaben ist!
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getreuer Bürger des Staates gewissenhaft erful-
len. Befohlne, vom Throne her begünstigte
blinde Anhängigkeit an hergebrachte Mei-
nungen, ist eine fruchtbare Mutter der Heuche-
lei und Unredlichkeit. Druck, oder gar Ver-
folgung, solcher die gern ihres Glaubens leben
möchten, erzeugt Miſsmuth und Abneigung.
Beide sind wie mich dünkt, als Fesseln des
menschlichen Geistes, für den, der sie anlegt,
und für diejenigen, welche sie tragen müssen,
gleich entehrend, und können in ihren Wirkun-
gen sehr gefährlich werden. Die wahre Reli-
gion muſs Alles auf Gottes- und Menschen-
liebe zurükführen. Hier gelten keine Zwangs-
gesetze, sondern lediglich die Stimmung der
allgemeinen Menschennatur; in deren Besitze,
der Fürst einem jeden, der denken, glauben und
empfinden kann, so lange das Recht lassen wird,
zu denken, zu glauben und zu empfinden, wie
auf den Verstand und das Herz eines jeden ge-
wirket wird, biſs er beweisen kann, daſs sein
Verstand übermenschlich sey, oder daſs er ein
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gebieten, wo die Kraft des menschlichen
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/231>, abgerufen am 22.11.2024.
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