Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

so gewohnt ist; jeder von allen gehorcht aber,
so viel ihm möglich ist, immer nur so, dass er
sich selbst nicht dabey vergisst, und dazu hält
er sich aber durch den angebohrnen Trieb der
Selbst-Erhaltung berechtiget. *)

Die ganze Art der bisherigen Erziehung
der mittlern und untern Volksclassen hat die
vor die Beherrscher gemächliche Folgen, dass
der Bürger- und Bauern-Stand in einer fast all-
gemeinen, soll man glücklichen oder unglück-
lichen sagen, Unwissenheit von seinen Rechten
und Zuständigkeiten, und von den gegenseiti-
gen Pflichten seiner Herrn und Obern aufwächst,
wodurch das jedem nicht ganz stupiden und
verwahrlosten Menschen eigene Selbstgefühl
seiner Würde und Kräfte allmälig eingewiegt,
in ihm selbst unterdrückt und durch äussern

*) Wie kann Aufklärung würken, so lange die Erziehung
durchs Beyspiel der Erziehung, durch den Un-
terricht
stillschweigend, aber siegend und unablässig
entgegenwürkt, und die zarten Keime einer bessern
Thätigkeit und des ächten patriotischen Sinnes erstickt,
indem sie alles auf den niedrigsten Privat-Ei-
gennutzen
zurückführt und den Menschen isolirt? Nur
bey Wenigen ist die Gesundheit der Seele fest genug,
sie gegen eine so allgemeine Ansteckung zu sichern.
Hr. von Ungern-Sternberg in den Blicken auf
die moralische Welt S. 235.

so gewohnt ist; jeder von allen gehorcht aber,
so viel ihm möglich ist, immer nur so, daſs er
sich selbst nicht dabey vergiſst, und dazu hält
er sich aber durch den angebohrnen Trieb der
Selbst-Erhaltung berechtiget. *)

Die ganze Art der bisherigen Erziehung
der mittlern und untern Volksclassen hat die
vor die Beherrscher gemächliche Folgen, daſs
der Bürger- und Bauern-Stand in einer fast all-
gemeinen, soll man glücklichen oder unglück-
lichen sagen, Unwissenheit von seinen Rechten
und Zuständigkeiten, und von den gegenseiti-
gen Pflichten seiner Herrn und Obern aufwächst,
wodurch das jedem nicht ganz stupiden und
verwahrlosten Menschen eigene Selbstgefühl
seiner Würde und Kräfte allmälig eingewiegt,
in ihm selbst unterdrückt und durch äussern

*) Wie kann Aufklärung würken, so lange die Erziehung
durchs Beyspiel der Erziehung, durch den Un-
terricht
stillschweigend, aber siegend und unabläſsig
entgegenwürkt, und die zarten Keime einer bessern
Thätigkeit und des ächten patriotischen Sinnes erstickt,
indem sie alles auf den niedrigsten Privat-Ei-
gennutzen
zurückführt und den Menschen isolirt? Nur
bey Wenigen ist die Gesundheit der Seele fest genug,
sie gegen eine so allgemeine Ansteckung zu sichern.
Hr. von Ungern-Sternberg in den Blicken auf
die moralische Welt S. 235.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="84"/>
so gewohnt ist; jeder von allen gehorcht aber,<lb/>
so viel ihm möglich ist, immer nur so, da&#x017F;s er<lb/>
sich selbst nicht dabey vergi&#x017F;st, und dazu hält<lb/>
er sich aber durch den angebohrnen Trieb der<lb/>
Selbst-Erhaltung berechtiget. <note place="foot" n="*)">Wie kann Aufklärung würken, so lange die Erziehung<lb/><hi rendition="#g">durchs Beyspiel</hi> der Erziehung, <hi rendition="#g">durch den Un-<lb/>
terricht</hi> stillschweigend, aber siegend und unablä&#x017F;sig<lb/>
entgegenwürkt, und die zarten Keime einer bessern<lb/>
Thätigkeit und des ächten patriotischen Sinnes erstickt,<lb/>
indem sie alles auf den <hi rendition="#g">niedrigsten Privat-Ei-<lb/>
gennutzen</hi> zurückführt und den Menschen isolirt? Nur<lb/>
bey Wenigen ist die Gesundheit der Seele fest genug,<lb/>
sie gegen eine so allgemeine Ansteckung zu sichern.<lb/>
Hr. <hi rendition="#g">von Ungern-Sternberg</hi> in den Blicken auf<lb/>
die moralische Welt S. 235.</note></p><lb/>
          <p>Die ganze Art der bisherigen Erziehung<lb/>
der mittlern und untern Volksclassen hat die<lb/>
vor die Beherrscher gemächliche Folgen, da&#x017F;s<lb/>
der Bürger- und Bauern-Stand in einer fast all-<lb/>
gemeinen, soll man glücklichen oder unglück-<lb/>
lichen sagen, Unwissenheit von seinen Rechten<lb/>
und Zuständigkeiten, und von den gegenseiti-<lb/>
gen Pflichten seiner Herrn und Obern aufwächst,<lb/>
wodurch das jedem nicht ganz stupiden und<lb/>
verwahrlosten Menschen eigene Selbstgefühl<lb/>
seiner Würde und Kräfte allmälig eingewiegt,<lb/>
in ihm selbst unterdrückt und durch äussern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0090] so gewohnt ist; jeder von allen gehorcht aber, so viel ihm möglich ist, immer nur so, daſs er sich selbst nicht dabey vergiſst, und dazu hält er sich aber durch den angebohrnen Trieb der Selbst-Erhaltung berechtiget. *) Die ganze Art der bisherigen Erziehung der mittlern und untern Volksclassen hat die vor die Beherrscher gemächliche Folgen, daſs der Bürger- und Bauern-Stand in einer fast all- gemeinen, soll man glücklichen oder unglück- lichen sagen, Unwissenheit von seinen Rechten und Zuständigkeiten, und von den gegenseiti- gen Pflichten seiner Herrn und Obern aufwächst, wodurch das jedem nicht ganz stupiden und verwahrlosten Menschen eigene Selbstgefühl seiner Würde und Kräfte allmälig eingewiegt, in ihm selbst unterdrückt und durch äussern *) Wie kann Aufklärung würken, so lange die Erziehung durchs Beyspiel der Erziehung, durch den Un- terricht stillschweigend, aber siegend und unabläſsig entgegenwürkt, und die zarten Keime einer bessern Thätigkeit und des ächten patriotischen Sinnes erstickt, indem sie alles auf den niedrigsten Privat-Ei- gennutzen zurückführt und den Menschen isolirt? Nur bey Wenigen ist die Gesundheit der Seele fest genug, sie gegen eine so allgemeine Ansteckung zu sichern. Hr. von Ungern-Sternberg in den Blicken auf die moralische Welt S. 235.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/90
Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/90>, abgerufen am 22.12.2024.