Doch kann ich hiebey nicht unbemerkt lassen: Dass, bey aller unserer Autklärung und so vie- len andern caeteris paribus, das Deutsche Na- tional-Temperament, im Ganzen genommen, unstreitig vieles dazu beytrage, dass keine sol- che gräuliche Scenen unter uns vorfallen, als die Geschichte anderer Reiche, von Frankreich, Engelland, Russland, Italien etc. aufzuweisen hat. Ein Fürst kann es sehr arg in seinem Land treiben, und doch ruhig zu Bette gehen; der Unterthan leidets und schweigt: Wenn er auch murrt, schimpft, Pasquille auf seinen Herrn macht, endlich gar ihn verklagt, so vergiftet er ihn doch nicht, miethet keinen Meuchelmör- der, haut ihm den Kopf nicht herunter, zündet ihm sein Schloss nicht an, und seine Minister und Augendiener, wenn auch unter ihnen die ärgsten Buben wären, werden nach wie vor mit tiefen Reverenzen begrüsst, und sind vor Galgen und Laternenstöcken sicher. So war's wenigstens bisher; wie es in 20. 30. oder 40. Jahren hie und da aussehen wird, kann die Geschichte des künftigen Jahrhunderts erzählen. Eine ewige Gedult möchte schwer zu verbür- gen seyn; die zwo Extremen des Trotzens und Verzagens liegen in der Natur des Men-
Doch kann ich hiebey nicht unbemerkt lassen: Daſs, bey aller unserer Autklärung und so vie- len andern cæteris paribus, das Deutsche Na- tional-Temperament, im Ganzen genommen, unstreitig vieles dazu beytrage, daſs keine sol- che gräuliche Scenen unter uns vorfallen, als die Geschichte anderer Reiche, von Frankreich, Engelland, Ruſsland, Italien etc. aufzuweisen hat. Ein Fürst kann es sehr arg in seinem Land treiben, und doch ruhig zu Bette gehen; der Unterthan leidets und schweigt: Wenn er auch murrt, schimpft, Pasquille auf seinen Herrn macht, endlich gar ihn verklagt, so vergiftet er ihn doch nicht, miethet keinen Meuchelmör- der, haut ihm den Kopf nicht herunter, zündet ihm sein Schloſs nicht an, und seine Minister und Augendiener, wenn auch unter ihnen die ärgsten Buben wären, werden nach wie vor mit tiefen Reverenzen begrüſst, und sind vor Galgen und Laternenstöcken sicher. So war’s wenigstens bisher; wie es in 20. 30. oder 40. Jahren hie und da aussehen wird, kann die Geschichte des künftigen Jahrhunderts erzählen. Eine ewige Gedult möchte schwer zu verbür- gen seyn; die zwo Extremen des Trotzens und Verzagens liegen in der Natur des Men-
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Doch kann ich hiebey nicht unbemerkt lassen:
Daſs, bey aller unserer Autklärung und so vie-
len andern cæteris paribus, das Deutsche Na-
tional-Temperament, im Ganzen genommen,
unstreitig vieles dazu beytrage, daſs keine sol-
che gräuliche Scenen unter uns vorfallen, als
die Geschichte anderer Reiche, von Frankreich,
Engelland, Ruſsland, Italien etc. aufzuweisen
hat. Ein Fürst kann es sehr arg in seinem
Land treiben, und doch ruhig zu Bette gehen;
der Unterthan leidets und schweigt: Wenn er
auch murrt, schimpft, Pasquille auf seinen Herrn
macht, endlich gar ihn verklagt, so vergiftet
er ihn doch nicht, miethet keinen Meuchelmör-
der, haut ihm den Kopf nicht herunter, zündet
ihm sein Schloſs nicht an, und seine Minister
und Augendiener, wenn auch unter ihnen die
ärgsten Buben wären, werden nach wie vor
mit tiefen Reverenzen begrüſst, und sind vor
Galgen und Laternenstöcken sicher. So war’s
wenigstens bisher; wie es in 20. 30. oder 40.
Jahren hie und da aussehen wird, kann die
Geschichte des künftigen Jahrhunderts erzählen.
Eine ewige Gedult möchte schwer zu verbür-
gen seyn; die zwo Extremen des Trotzens
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/80>, abgerufen am 24.11.2024.
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