Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt genommen, sind gebohrne Despoten, so weit sie nach denen ihnen von den Capiteln gesez- ten Gränzen können und dürfen; sie hangen nicht an den zarten Banden der Menschheit, welche die jeztlebende an ihre Nachkommen bindet. Der Gedanke: Mit mir ist doch alles aus! schwebt ihnen immer vor Augen; das blei- bende Wohl ihres Volks rührt sie nur schwach; sie sorgen nur vor Bereicherung und Versor- gung der Familien, aus denen sie entsprossen sind, oder werden der Raub eines Günstlings, oder leben so drauf los, dass sie noch verschul- dete Lande und Cassen hinterlassen.
Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: "Stren- ge Herrn regieren nicht lange". Die Erfahrung beweist aber dessen Unzuverlässigkeit; und nur aus der Geschichte dieses Jahrhunderts könnte man 20. 30. 40. Beyspiele ausheben, dass just die strengsten und schlimmsten am längsten, und die besten am kürzesten regiert haben.
Um so zu denken, zu leben und zu handeln, muss man in einer despotischen Verfassung auf- gewachsen und gebildet worden seyn; einem
Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt genommen, sind gebohrne Despoten, so weit sie nach denen ihnen von den Capiteln gesez- ten Gränzen können und dürfen; sie hangen nicht an den zarten Banden der Menschheit, welche die jeztlebende an ihre Nachkommen bindet. Der Gedanke: Mit mir ist doch alles aus! schwebt ihnen immer vor Augen; das blei- bende Wohl ihres Volks rührt sie nur schwach; sie sorgen nur vor Bereicherung und Versor- gung der Familien, aus denen sie entsprossen sind, oder werden der Raub eines Günstlings, oder leben so drauf los, daſs sie noch verschul- dete Lande und Cassen hinterlassen.
Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: „Stren- ge Herrn regieren nicht lange„. Die Erfahrung beweist aber dessen Unzuverläſsigkeit; und nur aus der Geschichte dieses Jahrhunderts könnte man 20. 30. 40. Beyspiele ausheben, daſs just die strengsten und schlimmsten am längsten, und die besten am kürzesten regiert haben.
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Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt
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bindet. Der Gedanke: Mit mir ist doch alles
aus! schwebt ihnen immer vor Augen; das blei-
bende Wohl ihres Volks rührt sie nur schwach;
sie sorgen nur vor Bereicherung und Versor-
gung der Familien, aus denen sie entsprossen
sind, oder werden der Raub eines Günstlings,
oder leben so drauf los, daſs sie noch verschul-
dete Lande und Cassen hinterlassen.
Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: „Stren-
ge Herrn regieren nicht lange„. Die Erfahrung
beweist aber dessen Unzuverläſsigkeit; und
nur aus der Geschichte dieses Jahrhunderts
könnte man 20. 30. 40. Beyspiele ausheben, daſs
just die strengsten und schlimmsten am längsten,
und die besten am kürzesten regiert haben.
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/205>, abgerufen am 17.02.2025.
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