Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

kann man dem biedern Iselin ohne Bedenken
zugestehen, und dass sie heut zu Tage je län-
ger je seltener werden, gründet sich auf ge-
wisse Ursachen und Erscheinungen, die den
Königen und Fürsten selbst noch allzugegen-
wärtig sind, als dass, sie daran zu erinnern,
nöthig wäre. Das Wort Tyrann, an sich, ist
auch ein solcher Eckel-Nahme, der mit dem
guten Ton und Lebensart des jeztlaufenden De-
cenniums unsers Jahrhunderts sich nicht verein-
baren lässt.

Aber! sollten wir nicht noch Despoten ha-
ben? Sollte das wahr seyn, auch in Deutschland
wahr seyn, was der gute Iselin im Jahr 1776.
geträumet hat: Dass uns die Fürsten und noch
dazu sehr viele Fürsten Dank wissen würden,
wenn wir Menschen, freye Menschen, bilden?
Ists nicht vielmehr beynahe eine Hals-Sache,
ein Hochverrath gegen den Staat, von Deut-
scher Freyheit und Deutschen freyen Menschen
nur einmahl laut sprechen zu wollen; und wer-
den nicht vielmehr Prämien denjenigen verheis-
sen, welche vor freye Menschen neue (wenig-
stens papierne) Ketten erfinden?

Die erstere Frage lässt sich wohl am sicher-
sten beantworten, wenn man das Bild eines

kann man dem biedern Iselin ohne Bedenken
zugestehen, und daſs sie heut zu Tage je län-
ger je seltener werden, gründet sich auf ge-
wisse Ursachen und Erscheinungen, die den
Königen und Fürsten selbst noch allzugegen-
wärtig sind, als daſs, sie daran zu erinnern,
nöthig wäre. Das Wort Tyrann, an sich, ist
auch ein solcher Eckel-Nahme, der mit dem
guten Ton und Lebensart des jeztlaufenden De-
cenniums unsers Jahrhunderts sich nicht verein-
baren läſst.

Aber! sollten wir nicht noch Despoten ha-
ben? Sollte das wahr seyn, auch in Deutschland
wahr seyn, was der gute Iselin im Jahr 1776.
geträumet hat: Daſs uns die Fürsten und noch
dazu sehr viele Fürsten Dank wissen würden,
wenn wir Menschen, freye Menschen, bilden?
Ists nicht vielmehr beynahe eine Hals-Sache,
ein Hochverrath gegen den Staat, von Deut-
scher Freyheit und Deutschen freyen Menschen
nur einmahl laut sprechen zu wollen; und wer-
den nicht vielmehr Prämien denjenigen verheis-
sen, welche vor freye Menschen neue (wenig-
stens papierne) Ketten erfinden?

Die erstere Frage läſst sich wohl am sicher-
sten beantworten, wenn man das Bild eines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="187"/>
kann man dem biedern <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Iselin</hi></hi> ohne Bedenken<lb/>
zugestehen, und da&#x017F;s sie heut zu Tage je län-<lb/>
ger je seltener werden, gründet sich auf ge-<lb/>
wisse Ursachen und Erscheinungen, die den<lb/>
Königen und Fürsten selbst noch allzugegen-<lb/>
wärtig sind, als da&#x017F;s, sie daran zu erinnern,<lb/>
nöthig wäre. Das Wort Tyrann, an sich, ist<lb/>
auch ein solcher Eckel-Nahme, der mit dem<lb/>
guten Ton und Lebensart des jeztlaufenden De-<lb/>
cenniums unsers Jahrhunderts sich nicht verein-<lb/>
baren lä&#x017F;st.</p><lb/>
        <p>Aber! sollten wir nicht noch <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Despoten</hi></hi> ha-<lb/>
ben? Sollte das wahr seyn, auch in Deutschland<lb/>
wahr seyn, was der gute <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">Iselin</hi></hi> im Jahr 1776.<lb/>
geträumet hat: Da&#x017F;s uns die Fürsten und noch<lb/>
dazu <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">sehr viele</hi></hi> Fürsten Dank wissen würden,<lb/>
wenn wir Menschen, <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">freye Menschen</hi>,</hi> bilden?<lb/>
Ists nicht vielmehr beynahe eine Hals-Sache,<lb/>
ein Hochverrath gegen den Staat, von Deut-<lb/>
scher Freyheit und Deutschen freyen Menschen<lb/>
nur einmahl laut sprechen zu wollen; und wer-<lb/>
den nicht vielmehr Prämien denjenigen verheis-<lb/>
sen, welche vor freye Menschen neue (wenig-<lb/>
stens papierne) Ketten erfinden?</p><lb/>
        <p>Die erstere Frage lä&#x017F;st sich wohl am sicher-<lb/>
sten beantworten, wenn man das Bild eines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0193] kann man dem biedern Iselin ohne Bedenken zugestehen, und daſs sie heut zu Tage je län- ger je seltener werden, gründet sich auf ge- wisse Ursachen und Erscheinungen, die den Königen und Fürsten selbst noch allzugegen- wärtig sind, als daſs, sie daran zu erinnern, nöthig wäre. Das Wort Tyrann, an sich, ist auch ein solcher Eckel-Nahme, der mit dem guten Ton und Lebensart des jeztlaufenden De- cenniums unsers Jahrhunderts sich nicht verein- baren läſst. Aber! sollten wir nicht noch Despoten ha- ben? Sollte das wahr seyn, auch in Deutschland wahr seyn, was der gute Iselin im Jahr 1776. geträumet hat: Daſs uns die Fürsten und noch dazu sehr viele Fürsten Dank wissen würden, wenn wir Menschen, freye Menschen, bilden? Ists nicht vielmehr beynahe eine Hals-Sache, ein Hochverrath gegen den Staat, von Deut- scher Freyheit und Deutschen freyen Menschen nur einmahl laut sprechen zu wollen; und wer- den nicht vielmehr Prämien denjenigen verheis- sen, welche vor freye Menschen neue (wenig- stens papierne) Ketten erfinden? Die erstere Frage läſst sich wohl am sicher- sten beantworten, wenn man das Bild eines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/193
Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/193>, abgerufen am 23.11.2024.