Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

vermittelt durch mythische oder geschichtliche Parallelen. In keiner Kunstepoche verfuhren die Künstler in der letzten Beziehung naiver, als zur Zeit der Blüthe der italienischen Malerei unter Giorgione, Tizian und Paolo Veronese. Hier sehen wir eine fürstliche Jungfrau jener Zeit bei einer Spazierfahrt an der Etsch unfern Verona einen ausgesetzten Knaben finden. Es ist Morgen, die Sonne eben aufgegangen. Die Prinzessin war spazieren gefahren, begleitet von ihren Frauen, Dienern und Wachen. Wie sie aus dem Castanienwäldchen herausfährt, hört sie ein Kind am Ufer wimmern. Sie läßt halten und steigt aus. Die beiden Hellebardiere sind an das Ufer geeilt, unten hält eine Dienerin mit einem der Hellebardiere den Korb, aus welchem bereits der Knabe genommen ist und der Prinzessin gezeigt wird.

Höher auf dem Ufer, an einen Baum gelehnt, steht der zweite Hellebardier, welcher seinen Weberbaumspieß keck auf die Erde gestemmt hat. Er hat das Gesicht weggewendet, fast, wie es scheint, um die Frau nicht zu sehen, welche das Kind ausgesetzt hat und im Hintergrunde in weißem Gewande vorübereilt. Ein Gesellschaftsfräulein, das jüngste und frischeste, hat bereits den Knaben auf den Armen, während es auf ein Knie niedergesunken ist und hält ihn der Prinzessin entgegen. Die alte Amme der Prinzessin hat das Tuch auseinandergeschlagen, in welches er gehüllt war; sie hält es so, daß der Knabe nicht von

vermittelt durch mythische oder geschichtliche Parallelen. In keiner Kunstepoche verfuhren die Künstler in der letzten Beziehung naiver, als zur Zeit der Blüthe der italienischen Malerei unter Giorgione, Tizian und Paolo Veronese. Hier sehen wir eine fürstliche Jungfrau jener Zeit bei einer Spazierfahrt an der Etsch unfern Verona einen ausgesetzten Knaben finden. Es ist Morgen, die Sonne eben aufgegangen. Die Prinzessin war spazieren gefahren, begleitet von ihren Frauen, Dienern und Wachen. Wie sie aus dem Castanienwäldchen herausfährt, hört sie ein Kind am Ufer wimmern. Sie läßt halten und steigt aus. Die beiden Hellebardiere sind an das Ufer geeilt, unten hält eine Dienerin mit einem der Hellebardiere den Korb, aus welchem bereits der Knabe genommen ist und der Prinzessin gezeigt wird.

Höher auf dem Ufer, an einen Baum gelehnt, steht der zweite Hellebardier, welcher seinen Weberbaumspieß keck auf die Erde gestemmt hat. Er hat das Gesicht weggewendet, fast, wie es scheint, um die Frau nicht zu sehen, welche das Kind ausgesetzt hat und im Hintergrunde in weißem Gewande vorübereilt. Ein Gesellschaftsfräulein, das jüngste und frischeste, hat bereits den Knaben auf den Armen, während es auf ein Knie niedergesunken ist und hält ihn der Prinzessin entgegen. Die alte Amme der Prinzessin hat das Tuch auseinandergeschlagen, in welches er gehüllt war; sie hält es so, daß der Knabe nicht von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="51"/>
vermittelt durch mythische oder geschichtliche Parallelen. In keiner Kunstepoche verfuhren die Künstler in der letzten Beziehung naiver, als zur Zeit der Blüthe der italienischen Malerei unter Giorgione, Tizian und Paolo Veronese. Hier sehen wir eine fürstliche Jungfrau jener Zeit bei einer Spazierfahrt an der Etsch unfern Verona einen ausgesetzten Knaben finden. Es ist Morgen, die Sonne eben aufgegangen. Die Prinzessin war spazieren gefahren, begleitet von ihren Frauen, Dienern und Wachen. Wie sie aus dem Castanienwäldchen herausfährt, hört sie ein Kind am Ufer wimmern. Sie läßt halten und steigt aus. Die beiden Hellebardiere sind an das Ufer geeilt, unten hält eine Dienerin mit einem der Hellebardiere den Korb, aus welchem bereits der Knabe genommen ist und der Prinzessin gezeigt wird.</p>
        <p>Höher auf dem Ufer, an einen Baum gelehnt, steht der zweite Hellebardier, welcher seinen Weberbaumspieß keck auf die Erde gestemmt hat. Er hat das Gesicht weggewendet, fast, wie es scheint, um die Frau nicht zu sehen, welche das Kind ausgesetzt hat und im Hintergrunde in weißem Gewande vorübereilt. Ein Gesellschaftsfräulein, das jüngste und frischeste, hat bereits den Knaben auf den Armen, während es auf ein Knie niedergesunken ist und hält ihn der Prinzessin entgegen. Die alte Amme der Prinzessin hat das Tuch auseinandergeschlagen, in welches er gehüllt war; sie hält es so, daß der Knabe nicht von
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0061] vermittelt durch mythische oder geschichtliche Parallelen. In keiner Kunstepoche verfuhren die Künstler in der letzten Beziehung naiver, als zur Zeit der Blüthe der italienischen Malerei unter Giorgione, Tizian und Paolo Veronese. Hier sehen wir eine fürstliche Jungfrau jener Zeit bei einer Spazierfahrt an der Etsch unfern Verona einen ausgesetzten Knaben finden. Es ist Morgen, die Sonne eben aufgegangen. Die Prinzessin war spazieren gefahren, begleitet von ihren Frauen, Dienern und Wachen. Wie sie aus dem Castanienwäldchen herausfährt, hört sie ein Kind am Ufer wimmern. Sie läßt halten und steigt aus. Die beiden Hellebardiere sind an das Ufer geeilt, unten hält eine Dienerin mit einem der Hellebardiere den Korb, aus welchem bereits der Knabe genommen ist und der Prinzessin gezeigt wird. Höher auf dem Ufer, an einen Baum gelehnt, steht der zweite Hellebardier, welcher seinen Weberbaumspieß keck auf die Erde gestemmt hat. Er hat das Gesicht weggewendet, fast, wie es scheint, um die Frau nicht zu sehen, welche das Kind ausgesetzt hat und im Hintergrunde in weißem Gewande vorübereilt. Ein Gesellschaftsfräulein, das jüngste und frischeste, hat bereits den Knaben auf den Armen, während es auf ein Knie niedergesunken ist und hält ihn der Prinzessin entgegen. Die alte Amme der Prinzessin hat das Tuch auseinandergeschlagen, in welches er gehüllt war; sie hält es so, daß der Knabe nicht von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-03-04T10:41:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-04T10:41:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-04T10:41:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/61
Zitationshilfe: Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/61>, abgerufen am 26.11.2024.