Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Carlo Dolci nimmt so bei dem Ausgange der italienischen Kunst einen ähnlichen Standpunkt ein, wie Adriaan van der Werff bei dem Ende der niederländischen Malerei.



Ehe wir aus dem Raphael- und Coreggio-Zimmer uns hinwegwenden, wollen wir noch einen Blick auf die Sixtinische Madonna in ihrer Hoheit und Strenge thun - und uns dann zur
älteren deutschen Schule
im anstoßenden Zimmer begeben.

Bei den germanischen Völkern hatte das Christenthum keine zum idealen Bewußtsein in der Kunst hinaufgesteigerte, sondern die in sich phantastisch träumende und in sich befangene Natur, mithin in ihr kein feindliches Princip vorgefunden. Die Seele der deutschen Natur glich mehr einem Mädchen, welches zwischen Kind und Jungfrau mitten inne steht und zuerst von der Liebe ergriffen dem himmlischen Bräutigam weinend in die Arme sinkt. So mußte sie auch nur ihr Gemüth in der Kunst abspiegeln; die Schönheit der Form ist dabei von keiner wesentlichen Bedeutung, da Alles auf die Empfindung ankommt. Desto willkührlicher konnte das traumbewegte Gemüth sich phantastisch zur Erscheinung bringen. Die deutsche Kunst hat daher einen ganz anderen Anfang und

Carlo Dolci nimmt so bei dem Ausgange der italienischen Kunst einen ähnlichen Standpunkt ein, wie Adriaan van der Werff bei dem Ende der niederländischen Malerei.



Ehe wir aus dem Raphael- und Coreggio-Zimmer uns hinwegwenden, wollen wir noch einen Blick auf die Sixtinische Madonna in ihrer Hoheit und Strenge thun – und uns dann zur
älteren deutschen Schule
im anstoßenden Zimmer begeben.

Bei den germanischen Völkern hatte das Christenthum keine zum idealen Bewußtsein in der Kunst hinaufgesteigerte, sondern die in sich phantastisch träumende und in sich befangene Natur, mithin in ihr kein feindliches Princip vorgefunden. Die Seele der deutschen Natur glich mehr einem Mädchen, welches zwischen Kind und Jungfrau mitten inne steht und zuerst von der Liebe ergriffen dem himmlischen Bräutigam weinend in die Arme sinkt. So mußte sie auch nur ihr Gemüth in der Kunst abspiegeln; die Schönheit der Form ist dabei von keiner wesentlichen Bedeutung, da Alles auf die Empfindung ankommt. Desto willkührlicher konnte das traumbewegte Gemüth sich phantastisch zur Erscheinung bringen. Die deutsche Kunst hat daher einen ganz anderen Anfang und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0034" n="24"/>
        <p>Carlo Dolci nimmt so bei dem Ausgange der italienischen Kunst einen ähnlichen Standpunkt ein, wie Adriaan van der Werff bei dem Ende der niederländischen Malerei.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Ehe wir aus dem Raphael- und Coreggio-Zimmer uns hinwegwenden, wollen wir noch einen Blick auf die Sixtinische Madonna in ihrer Hoheit und Strenge thun &#x2013; und uns dann zur<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b">älteren deutschen Schule</hi></hi><lb/>
im anstoßenden Zimmer begeben.</p>
        <p>Bei den germanischen Völkern hatte das Christenthum keine zum idealen Bewußtsein in der Kunst hinaufgesteigerte, sondern die in sich phantastisch träumende und in sich befangene Natur, mithin in ihr kein feindliches Princip vorgefunden. Die Seele der deutschen Natur glich mehr einem Mädchen, welches zwischen Kind und Jungfrau mitten inne steht und zuerst von der Liebe ergriffen dem himmlischen Bräutigam weinend in die Arme sinkt. So mußte sie auch nur ihr Gemüth in der Kunst abspiegeln; die Schönheit der Form ist dabei von keiner wesentlichen Bedeutung, da Alles auf die Empfindung ankommt. Desto willkührlicher konnte das traumbewegte Gemüth sich phantastisch zur Erscheinung bringen. Die deutsche Kunst hat daher einen ganz anderen Anfang und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] Carlo Dolci nimmt so bei dem Ausgange der italienischen Kunst einen ähnlichen Standpunkt ein, wie Adriaan van der Werff bei dem Ende der niederländischen Malerei. Ehe wir aus dem Raphael- und Coreggio-Zimmer uns hinwegwenden, wollen wir noch einen Blick auf die Sixtinische Madonna in ihrer Hoheit und Strenge thun – und uns dann zur älteren deutschen Schule im anstoßenden Zimmer begeben. Bei den germanischen Völkern hatte das Christenthum keine zum idealen Bewußtsein in der Kunst hinaufgesteigerte, sondern die in sich phantastisch träumende und in sich befangene Natur, mithin in ihr kein feindliches Princip vorgefunden. Die Seele der deutschen Natur glich mehr einem Mädchen, welches zwischen Kind und Jungfrau mitten inne steht und zuerst von der Liebe ergriffen dem himmlischen Bräutigam weinend in die Arme sinkt. So mußte sie auch nur ihr Gemüth in der Kunst abspiegeln; die Schönheit der Form ist dabei von keiner wesentlichen Bedeutung, da Alles auf die Empfindung ankommt. Desto willkührlicher konnte das traumbewegte Gemüth sich phantastisch zur Erscheinung bringen. Die deutsche Kunst hat daher einen ganz anderen Anfang und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-03-04T10:41:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-04T10:41:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-04T10:41:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/34
Zitationshilfe: Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/34>, abgerufen am 21.11.2024.