nun wie die übrigen von seinem Stande, ging des Sonntags fleißig in die Kirche, und war ein stiller religiöser Mensch -- in einsamen Stunden ergötzte er sich denn mit Shakespear und Homer, und hatte dasjenige reelle Leben in sich, was er nicht außer sich haben konnte.
Besonders rührend war ihm bei dergleichen Vorstellungen immer der Gedanke, daß er am Sonntage fleißig in die Kirche gehen, und dem Prediger recht aufmerksam zuhören würde. -- Denn hierdurch vernichtete er gleichsam sich selbst, weil er alles, was auch der schlechteste Prediger ihm sagen würde, doch für sich noch sehr lehrreich hielt, und nicht klüger als der einfältigste Mensch seyn wollte.
Er dachte sich nun wieder in dem Zustande, worin er als Hutmacherbursch gewesen war, wo er den Prediger, der ihm gefiel, wie ein Wesen höherer Art, und selbst die Chorschüler auf der Straße mit Ehrfurcht betrachtete. Vom Theater durfte er in diesem Zustande kaum einen Begriff haben -- und doch war es ihm wieder, als ob eben dieser Zustand auf eine wunderbare
E 5
nun wie die uͤbrigen von ſeinem Stande, ging des Sonntags fleißig in die Kirche, und war ein ſtiller religioͤſer Menſch — in einſamen Stunden ergoͤtzte er ſich denn mit Shakeſpear und Homer, und hatte dasjenige reelle Leben in ſich, was er nicht außer ſich haben konnte.
Beſonders ruͤhrend war ihm bei dergleichen Vorſtellungen immer der Gedanke, daß er am Sonntage fleißig in die Kirche gehen, und dem Prediger recht aufmerkſam zuhoͤren wuͤrde. — Denn hierdurch vernichtete er gleichſam ſich ſelbſt, weil er alles, was auch der ſchlechteſte Prediger ihm ſagen wuͤrde, doch fuͤr ſich noch ſehr lehrreich hielt, und nicht kluͤger als der einfaͤltigſte Menſch ſeyn wollte.
Er dachte ſich nun wieder in dem Zuſtande, worin er als Hutmacherburſch geweſen war, wo er den Prediger, der ihm gefiel, wie ein Weſen hoͤherer Art, und ſelbſt die Chorſchuͤler auf der Straße mit Ehrfurcht betrachtete. Vom Theater durfte er in dieſem Zuſtande kaum einen Begriff haben — und doch war es ihm wieder, als ob eben dieſer Zuſtand auf eine wunderbare
E 5
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0087"n="73"/>
nun wie die uͤbrigen von ſeinem Stande, ging<lb/>
des Sonntags fleißig in die Kirche, und war ein<lb/>ſtiller religioͤſer Menſch — in einſamen Stunden<lb/>
ergoͤtzte er ſich denn mit Shakeſpear und Homer,<lb/>
und hatte dasjenige reelle Leben in ſich, was er<lb/>
nicht außer ſich haben konnte.</p><lb/><p>Beſonders ruͤhrend war ihm bei dergleichen<lb/>
Vorſtellungen immer der Gedanke, daß er am<lb/>
Sonntage fleißig in die Kirche gehen, und <hirendition="#fr">dem<lb/>
Prediger recht aufmerkſam zuhoͤren wuͤrde</hi>.<lb/>— Denn hierdurch vernichtete er gleichſam ſich<lb/>ſelbſt, weil er alles, was auch der ſchlechteſte<lb/>
Prediger ihm ſagen wuͤrde, doch fuͤr ſich noch<lb/>ſehr lehrreich hielt, und nicht kluͤger als der<lb/>
einfaͤltigſte Menſch ſeyn wollte.</p><lb/><p>Er dachte ſich nun wieder in dem Zuſtande,<lb/>
worin er als Hutmacherburſch geweſen war,<lb/>
wo er den Prediger, der ihm gefiel, wie ein<lb/>
Weſen hoͤherer Art, und ſelbſt die Chorſchuͤler<lb/>
auf der Straße mit Ehrfurcht betrachtete. Vom<lb/>
Theater durfte er in dieſem Zuſtande kaum einen<lb/>
Begriff haben — und doch war es ihm wieder,<lb/>
als ob eben dieſer Zuſtand auf eine wunderbare<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 5<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[73/0087]
nun wie die uͤbrigen von ſeinem Stande, ging
des Sonntags fleißig in die Kirche, und war ein
ſtiller religioͤſer Menſch — in einſamen Stunden
ergoͤtzte er ſich denn mit Shakeſpear und Homer,
und hatte dasjenige reelle Leben in ſich, was er
nicht außer ſich haben konnte.
Beſonders ruͤhrend war ihm bei dergleichen
Vorſtellungen immer der Gedanke, daß er am
Sonntage fleißig in die Kirche gehen, und dem
Prediger recht aufmerkſam zuhoͤren wuͤrde.
— Denn hierdurch vernichtete er gleichſam ſich
ſelbſt, weil er alles, was auch der ſchlechteſte
Prediger ihm ſagen wuͤrde, doch fuͤr ſich noch
ſehr lehrreich hielt, und nicht kluͤger als der
einfaͤltigſte Menſch ſeyn wollte.
Er dachte ſich nun wieder in dem Zuſtande,
worin er als Hutmacherburſch geweſen war,
wo er den Prediger, der ihm gefiel, wie ein
Weſen hoͤherer Art, und ſelbſt die Chorſchuͤler
auf der Straße mit Ehrfurcht betrachtete. Vom
Theater durfte er in dieſem Zuſtande kaum einen
Begriff haben — und doch war es ihm wieder,
als ob eben dieſer Zuſtand auf eine wunderbare
E 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/87>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.