Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

schrieb sich ganz natürlich während seiner Schul¬
jahre, die Wuth, Komödien zu lesen und zu
sehen. -- Durch jedes fremde Schicksal fühlte
er sich gleichsam sich selbst entrissen, und fand
nun in andern erst die Lebensflamme wieder,
die in ihm selber durch den Druck von außen
beinahe erloschen war.

Es war also kein ächter Beruf, kein reiner
Darstellungstrieb, der ihn anzog: Denn ihm
lag mehr daran, die Scenen des Lebens in sich,
als außer sich darzustellen. Er wollte für
sich
das alles haben, was die Kunst zum
Opfer fordert.

Um seinetwillen wollte er die Lebensscenen
spielen -- sie zogen ihn nur an, weil er sich
selbst darin gefiel, nicht weil an ihrer treuen
Darstellung ihm alles lag. -- Er täuschte sich
selbst, indem er das für ächten Kunsttrieb nahm,
was bloß in den zufälligen Umständen seines Le¬
bens gegründet war. -- Und diese Täuschung,
wie viele Leiden hat sie ihm verursacht, wie viele
Freuden ihm geraubt!

Hätte er damals das sichere Kennzeichen
schon empfunden und gewußt, daß wer nicht

D 3

ſchrieb ſich ganz natuͤrlich waͤhrend ſeiner Schul¬
jahre, die Wuth, Komoͤdien zu leſen und zu
ſehen. — Durch jedes fremde Schickſal fuͤhlte
er ſich gleichſam ſich ſelbſt entriſſen, und fand
nun in andern erſt die Lebensflamme wieder,
die in ihm ſelber durch den Druck von außen
beinahe erloſchen war.

Es war alſo kein aͤchter Beruf, kein reiner
Darſtellungstrieb, der ihn anzog: Denn ihm
lag mehr daran, die Scenen des Lebens in ſich,
als außer ſich darzuſtellen. Er wollte fuͤr
ſich
das alles haben, was die Kunſt zum
Opfer fordert.

Um ſeinetwillen wollte er die Lebensſcenen
ſpielen — ſie zogen ihn nur an, weil er ſich
ſelbſt darin gefiel, nicht weil an ihrer treuen
Darſtellung ihm alles lag. — Er taͤuſchte ſich
ſelbſt, indem er das fuͤr aͤchten Kunſttrieb nahm,
was bloß in den zufaͤlligen Umſtaͤnden ſeines Le¬
bens gegruͤndet war. — Und dieſe Taͤuſchung,
wie viele Leiden hat ſie ihm verurſacht, wie viele
Freuden ihm geraubt!

Haͤtte er damals das ſichere Kennzeichen
ſchon empfunden und gewußt, daß wer nicht

D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0067" n="53"/>
&#x017F;chrieb &#x017F;ich ganz natu&#x0364;rlich wa&#x0364;hrend &#x017F;einer Schul¬<lb/>
jahre, die Wuth, Komo&#x0364;dien zu le&#x017F;en und zu<lb/>
&#x017F;ehen. &#x2014; Durch jedes fremde Schick&#x017F;al fu&#x0364;hlte<lb/>
er &#x017F;ich gleich&#x017F;am &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t entri&#x017F;&#x017F;en, und fand<lb/>
nun in andern er&#x017F;t die Lebensflamme wieder,<lb/>
die in ihm &#x017F;elber durch den Druck von außen<lb/>
beinahe erlo&#x017F;chen war.</p><lb/>
      <p>Es war al&#x017F;o kein a&#x0364;chter Beruf, kein reiner<lb/>
Dar&#x017F;tellungstrieb, der ihn anzog: Denn ihm<lb/>
lag mehr daran, die Scenen des Lebens in &#x017F;ich,<lb/>
als außer &#x017F;ich darzu&#x017F;tellen. <hi rendition="#fr">Er wollte</hi> <hi rendition="#fr #g">fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich</hi> <hi rendition="#fr">das alles haben, was die Kun&#x017F;t zum<lb/>
Opfer fordert.</hi></p><lb/>
      <p>Um &#x017F;einetwillen wollte er die Lebens&#x017F;cenen<lb/>
&#x017F;pielen &#x2014; &#x017F;ie zogen ihn nur an, weil er &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t darin gefiel, nicht weil an ihrer treuen<lb/>
Dar&#x017F;tellung ihm alles lag. &#x2014; Er ta&#x0364;u&#x017F;chte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, indem er das fu&#x0364;r a&#x0364;chten Kun&#x017F;ttrieb nahm,<lb/>
was bloß in den zufa&#x0364;lligen Um&#x017F;ta&#x0364;nden &#x017F;eines Le¬<lb/>
bens gegru&#x0364;ndet war. &#x2014; Und die&#x017F;e Ta&#x0364;u&#x017F;chung,<lb/>
wie viele Leiden hat &#x017F;ie ihm verur&#x017F;acht, wie viele<lb/>
Freuden ihm geraubt!</p><lb/>
      <p>Ha&#x0364;tte er damals das &#x017F;ichere Kennzeichen<lb/>
&#x017F;chon empfunden und gewußt, daß wer nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 3<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0067] ſchrieb ſich ganz natuͤrlich waͤhrend ſeiner Schul¬ jahre, die Wuth, Komoͤdien zu leſen und zu ſehen. — Durch jedes fremde Schickſal fuͤhlte er ſich gleichſam ſich ſelbſt entriſſen, und fand nun in andern erſt die Lebensflamme wieder, die in ihm ſelber durch den Druck von außen beinahe erloſchen war. Es war alſo kein aͤchter Beruf, kein reiner Darſtellungstrieb, der ihn anzog: Denn ihm lag mehr daran, die Scenen des Lebens in ſich, als außer ſich darzuſtellen. Er wollte fuͤr ſich das alles haben, was die Kunſt zum Opfer fordert. Um ſeinetwillen wollte er die Lebensſcenen ſpielen — ſie zogen ihn nur an, weil er ſich ſelbſt darin gefiel, nicht weil an ihrer treuen Darſtellung ihm alles lag. — Er taͤuſchte ſich ſelbſt, indem er das fuͤr aͤchten Kunſttrieb nahm, was bloß in den zufaͤlligen Umſtaͤnden ſeines Le¬ bens gegruͤndet war. — Und dieſe Taͤuſchung, wie viele Leiden hat ſie ihm verurſacht, wie viele Freuden ihm geraubt! Haͤtte er damals das ſichere Kennzeichen ſchon empfunden und gewußt, daß wer nicht D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/67
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/67>, abgerufen am 25.11.2024.