Als er eben hereintrat, fand er gleich vorn in der Gaststube einen Schwarm von Hand¬ werksburschen, die schrien und lermten; und er wollte schon wieder umkehren, als der alte Wirth zu ihm kam, der ihn freundlich anredete und fragte, ob er etwa hier logieren wolle? Reiser erwiederte: dieß sey wohl eine Herberge für Handwerksburschen? Das thäte nichts, sagte der Wirth, er solle mit seinem Logis schon zu¬ frieden seyn, und hierauf nöthigte er Reisern in seine eigene wohleingerichtete Stube, wo ein alter Hauptmann, ein Hoflaquai, und noch einige andere wohlgekleidete Leute waren, in deren Gesellschaft Reiser von dem Wirth intro¬ duciret, und auf das höflichste behandelt wurde. Denn man that keine einzige unbescheidene oder neugierige Frage an ihn, und bewieß ihm doch dabei eine schmeichelnde Aufmerksamkeit.
In diesem Zimmer stand ein Flügel, auf welchem ein junger Mann Nahmens Liebetraut sich hören ließ. Dieser Liebetraut war auch erst vor kurzem zufälliger Weise in eben diesen Gast¬ hof eingekehrt, und mit den alten Wirthsleuten bekannt geworden, auf deren Zureden, weil sie
Als er eben hereintrat, fand er gleich vorn in der Gaſtſtube einen Schwarm von Hand¬ werksburſchen, die ſchrien und lermten; und er wollte ſchon wieder umkehren, als der alte Wirth zu ihm kam, der ihn freundlich anredete und fragte, ob er etwa hier logieren wolle? Reiſer erwiederte: dieß ſey wohl eine Herberge fuͤr Handwerksburſchen? Das thaͤte nichts, ſagte der Wirth, er ſolle mit ſeinem Logis ſchon zu¬ frieden ſeyn, und hierauf noͤthigte er Reiſern in ſeine eigene wohleingerichtete Stube, wo ein alter Hauptmann, ein Hoflaquai, und noch einige andere wohlgekleidete Leute waren, in deren Geſellſchaft Reiſer von dem Wirth intro¬ duciret, und auf das hoͤflichſte behandelt wurde. Denn man that keine einzige unbeſcheidene oder neugierige Frage an ihn, und bewieß ihm doch dabei eine ſchmeichelnde Aufmerkſamkeit.
In dieſem Zimmer ſtand ein Fluͤgel, auf welchem ein junger Mann Nahmens Liebetraut ſich hoͤren ließ. Dieſer Liebetraut war auch erſt vor kurzem zufaͤlliger Weiſe in eben dieſen Gaſt¬ hof eingekehrt, und mit den alten Wirthsleuten bekannt geworden, auf deren Zureden, weil ſie
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Als er eben hereintrat, fand er gleich vorn
in der Gaſtſtube einen Schwarm von Hand¬
werksburſchen, die ſchrien und lermten; und er
wollte ſchon wieder umkehren, als der alte Wirth
zu ihm kam, der ihn freundlich anredete und
fragte, ob er etwa hier logieren wolle? Reiſer
erwiederte: dieß ſey wohl eine Herberge fuͤr
Handwerksburſchen? Das thaͤte nichts, ſagte
der Wirth, er ſolle mit ſeinem Logis ſchon zu¬
frieden ſeyn, und hierauf noͤthigte er Reiſern in
ſeine eigene wohleingerichtete Stube, wo ein
alter Hauptmann, ein Hoflaquai, und noch
einige andere wohlgekleidete Leute waren, in
deren Geſellſchaft Reiſer von dem Wirth intro¬
duciret, und auf das hoͤflichſte behandelt wurde.
Denn man that keine einzige unbeſcheidene oder
neugierige Frage an ihn, und bewieß ihm doch
dabei eine ſchmeichelnde Aufmerkſamkeit.
In dieſem Zimmer ſtand ein Fluͤgel, auf
welchem ein junger Mann Nahmens Liebetraut
ſich hoͤren ließ. Dieſer Liebetraut war auch erſt
vor kurzem zufaͤlliger Weiſe in eben dieſen Gaſt¬
hof eingekehrt, und mit den alten Wirthsleuten
bekannt geworden, auf deren Zureden, weil ſie
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/64>, abgerufen am 01.08.2024.
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