Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Schrecknissen aus ihrem verborgenen Hinterhalt
hervor, und verschlang den neugebornen Tag wie¬
der in ein furchtbares Grab. Die immer in sich
selbst zurückgedrängten Kräfte bearbeiteten sich
mit Grimm nach allen Seiten sich auszudehnen,
und seufzten unter dem lastenden Widerstande.
Die Wasserwogen krümmten sich und klagten un¬
ter dem heulenden Windstoß. In der Tiefe brüll¬
ten die eingeschlossenen Flammen, das Erdreich
das sich hob, der Felsen der sich gründete, ver¬
sanken mit donnerndem Getöse wieder in den al¬
les verschlingenden Abgrund. --

Mit dergleichen ungeheuren Bildern, zerar¬
beitete sich Reisers Phantasie in den Stunden,
wo sein Innres selber ein Chaos war, in wel¬
chem der Strahl des ruhigen Denkens nicht
leuchtete, wo die Kräfte der Seele ihr Gleichge¬
wicht verlohren, und das Gemüth sich verfin¬
stert hatte; wo der Reiz des Wirklichen vor ihm
verschwand, und Traum und Wahn ihm lieber
war, als Ordnung, Licht und Wahrheit.

Und alle diese Erscheinungen gründeten sich
gewissermaßen wieder in dem Idealismus, wo¬
zu er sich schon natürlich neigte, und worin er

Schreckniſſen aus ihrem verborgenen Hinterhalt
hervor, und verſchlang den neugebornen Tag wie¬
der in ein furchtbares Grab. Die immer in ſich
ſelbſt zuruͤckgedraͤngten Kraͤfte bearbeiteten ſich
mit Grimm nach allen Seiten ſich auszudehnen,
und ſeufzten unter dem laſtenden Widerſtande.
Die Waſſerwogen kruͤmmten ſich und klagten un¬
ter dem heulenden Windſtoß. In der Tiefe bruͤll¬
ten die eingeſchloſſenen Flammen, das Erdreich
das ſich hob, der Felſen der ſich gruͤndete, ver¬
ſanken mit donnerndem Getoͤſe wieder in den al¬
les verſchlingenden Abgrund. —

Mit dergleichen ungeheuren Bildern, zerar¬
beitete ſich Reiſers Phantaſie in den Stunden,
wo ſein Innres ſelber ein Chaos war, in wel¬
chem der Strahl des ruhigen Denkens nicht
leuchtete, wo die Kraͤfte der Seele ihr Gleichge¬
wicht verlohren, und das Gemuͤth ſich verfin¬
ſtert hatte; wo der Reiz des Wirklichen vor ihm
verſchwand, und Traum und Wahn ihm lieber
war, als Ordnung, Licht und Wahrheit.

Und alle dieſe Erſcheinungen gruͤndeten ſich
gewiſſermaßen wieder in dem Idealismus, wo¬
zu er ſich ſchon natuͤrlich neigte, und worin er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0185" n="171"/>
Schreckni&#x017F;&#x017F;en aus ihrem verborgenen Hinterhalt<lb/>
hervor, und ver&#x017F;chlang den neugebornen Tag wie¬<lb/>
der in ein furchtbares Grab. Die immer in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zuru&#x0364;ckgedra&#x0364;ngten Kra&#x0364;fte bearbeiteten &#x017F;ich<lb/>
mit Grimm nach allen Seiten &#x017F;ich auszudehnen,<lb/>
und &#x017F;eufzten unter dem la&#x017F;tenden Wider&#x017F;tande.<lb/>
Die Wa&#x017F;&#x017F;erwogen kru&#x0364;mmten &#x017F;ich und klagten un¬<lb/>
ter dem heulenden Wind&#x017F;toß. In der Tiefe bru&#x0364;ll¬<lb/>
ten die einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Flammen, das Erdreich<lb/>
das &#x017F;ich hob, der Fel&#x017F;en der &#x017F;ich gru&#x0364;ndete, ver¬<lb/>
&#x017F;anken mit donnerndem Geto&#x0364;&#x017F;e wieder in den al¬<lb/>
les ver&#x017F;chlingenden Abgrund. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Mit dergleichen ungeheuren Bildern, zerar¬<lb/>
beitete &#x017F;ich Rei&#x017F;ers Phanta&#x017F;ie in den Stunden,<lb/>
wo &#x017F;ein Innres &#x017F;elber ein Chaos war, in wel¬<lb/>
chem der Strahl des ruhigen Denkens nicht<lb/>
leuchtete, wo die Kra&#x0364;fte der Seele ihr Gleichge¬<lb/>
wicht verlohren, und das Gemu&#x0364;th &#x017F;ich verfin¬<lb/>
&#x017F;tert hatte; wo der Reiz des Wirklichen vor ihm<lb/>
ver&#x017F;chwand, und Traum und Wahn ihm lieber<lb/>
war, als Ordnung, Licht und Wahrheit.</p><lb/>
      <p>Und alle die&#x017F;e Er&#x017F;cheinungen gru&#x0364;ndeten &#x017F;ich<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen wieder in dem Idealismus, wo¬<lb/>
zu er &#x017F;ich &#x017F;chon natu&#x0364;rlich neigte, und worin er<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0185] Schreckniſſen aus ihrem verborgenen Hinterhalt hervor, und verſchlang den neugebornen Tag wie¬ der in ein furchtbares Grab. Die immer in ſich ſelbſt zuruͤckgedraͤngten Kraͤfte bearbeiteten ſich mit Grimm nach allen Seiten ſich auszudehnen, und ſeufzten unter dem laſtenden Widerſtande. Die Waſſerwogen kruͤmmten ſich und klagten un¬ ter dem heulenden Windſtoß. In der Tiefe bruͤll¬ ten die eingeſchloſſenen Flammen, das Erdreich das ſich hob, der Felſen der ſich gruͤndete, ver¬ ſanken mit donnerndem Getoͤſe wieder in den al¬ les verſchlingenden Abgrund. — Mit dergleichen ungeheuren Bildern, zerar¬ beitete ſich Reiſers Phantaſie in den Stunden, wo ſein Innres ſelber ein Chaos war, in wel¬ chem der Strahl des ruhigen Denkens nicht leuchtete, wo die Kraͤfte der Seele ihr Gleichge¬ wicht verlohren, und das Gemuͤth ſich verfin¬ ſtert hatte; wo der Reiz des Wirklichen vor ihm verſchwand, und Traum und Wahn ihm lieber war, als Ordnung, Licht und Wahrheit. Und alle dieſe Erſcheinungen gruͤndeten ſich gewiſſermaßen wieder in dem Idealismus, wo¬ zu er ſich ſchon natuͤrlich neigte, und worin er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/185
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/185>, abgerufen am 23.11.2024.