wenn er Dinge ausdrücken wollte, die er zu fühlen glaubte, und die ihm doch über allen Aus¬ druck waren.
Was ihm die meiste Qual machte, war die Beschreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm, und worauf er mit seiner kranken Einbildungs¬ kraft am liebsten verweilen mochte, aber immer für seine ungeheuren und grotesken Vorstellun¬ gen keine Ausdrücke finden konnte.
Er dachte sich eine Art von falscher täuschender Bildung in das Chaos hinein, welche im Nu wie¬ der zum Traum und Blendwerk wurde; eine Bil¬ dung die weit schöner, als die wirkliche, aber eben deswegen von keinem Bestand, und keiner Dauer war.
Eine falsche Sonne stieg am Horizont herauf und kündigte einen glänzenden Tag an. -- Der bodenlose Morast überzog sich unter ihrem trü¬ gerischen Einfluß mit einer Kruste auf welcher Blumen sproßten, Quellen rauschten; plötzlich arbeiteten sich die entgegenstrebenden Kräfte aus der Tiefe empor, der Sturm heulte aus dem Ab¬ grunde, die Finsterniß brach mit allen ihren
wenn er Dinge ausdruͤcken wollte, die er zu fuͤhlen glaubte, und die ihm doch uͤber allen Aus¬ druck waren.
Was ihm die meiſte Qual machte, war die Beſchreibung des Chaos, welche beinahe den ganzen erſten Geſang ſeines Gedichts einnahm, und worauf er mit ſeiner kranken Einbildungs¬ kraft am liebſten verweilen mochte, aber immer fuͤr ſeine ungeheuren und groteſken Vorſtellun¬ gen keine Ausdruͤcke finden konnte.
Er dachte ſich eine Art von falſcher taͤuſchender Bildung in das Chaos hinein, welche im Nu wie¬ der zum Traum und Blendwerk wurde; eine Bil¬ dung die weit ſchoͤner, als die wirkliche, aber eben deswegen von keinem Beſtand, und keiner Dauer war.
Eine falſche Sonne ſtieg am Horizont herauf und kuͤndigte einen glaͤnzenden Tag an. — Der bodenloſe Moraſt uͤberzog ſich unter ihrem truͤ¬ geriſchen Einfluß mit einer Kruſte auf welcher Blumen ſproßten, Quellen rauſchten; ploͤtzlich arbeiteten ſich die entgegenſtrebenden Kraͤfte aus der Tiefe empor, der Sturm heulte aus dem Ab¬ grunde, die Finſterniß brach mit allen ihren
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wenn er Dinge ausdruͤcken wollte, die er zu
fuͤhlen glaubte, und die ihm doch uͤber allen Aus¬
druck waren.
Was ihm die meiſte Qual machte, war die
Beſchreibung des Chaos, welche beinahe den
ganzen erſten Geſang ſeines Gedichts einnahm,
und worauf er mit ſeiner kranken Einbildungs¬
kraft am liebſten verweilen mochte, aber immer
fuͤr ſeine ungeheuren und groteſken Vorſtellun¬
gen keine Ausdruͤcke finden konnte.
Er dachte ſich eine Art von falſcher taͤuſchender
Bildung in das Chaos hinein, welche im Nu wie¬
der zum Traum und Blendwerk wurde; eine Bil¬
dung die weit ſchoͤner, als die wirkliche, aber
eben deswegen von keinem Beſtand, und keiner
Dauer war.
Eine falſche Sonne ſtieg am Horizont herauf
und kuͤndigte einen glaͤnzenden Tag an. — Der
bodenloſe Moraſt uͤberzog ſich unter ihrem truͤ¬
geriſchen Einfluß mit einer Kruſte auf welcher
Blumen ſproßten, Quellen rauſchten; ploͤtzlich
arbeiteten ſich die entgegenſtrebenden Kraͤfte aus
der Tiefe empor, der Sturm heulte aus dem Ab¬
grunde, die Finſterniß brach mit allen ihren
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/184>, abgerufen am 16.02.2025.
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