sahe, so sehr hatte diese Nacht ihn abgemattet und entstellt.
N. . . ruhete nicht eher, bis Reiser ihm sei¬ nen ganzen Zustand entdeckt hatte. Nach freund¬ schaftlichen Vorwürfen, daß Reiser nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung, suchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzustellen, und tilgte die geringe Schuld seines Freundes.
Diese aufrichtige Theilnehmung seines Freun¬ des stärkte bei Reisern wieder das erkrankte Selbstgefühl; er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund, und ehrte sich in ihm.
Nun bedung er sich aus, um allein seyn zu können, einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz sich selbst gelassen, ein paar nicht unangenehme Wo¬ chen zubrachte.
Er laß und studirte hier oben, und würde in dieser Abgezogenheit völlig glücklich gewesen seyn, wenn ihn sein Gedicht über die Schöpfung nicht gequält hätte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth,
L 5
ſahe, ſo ſehr hatte dieſe Nacht ihn abgemattet und entſtellt.
N. . . ruhete nicht eher, bis Reiſer ihm ſei¬ nen ganzen Zuſtand entdeckt hatte. Nach freund¬ ſchaftlichen Vorwuͤrfen, daß Reiſer nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder nach ſeiner alten Wohnung, ſuchte ihn dort den Leuten in einem andern Lichte darzuſtellen, und tilgte die geringe Schuld ſeines Freundes.
Dieſe aufrichtige Theilnehmung ſeines Freun¬ des ſtaͤrkte bei Reiſern wieder das erkrankte Selbſtgefuͤhl; er war gewiſſermaßen ſtolz auf ſeinen Freund, und ehrte ſich in ihm.
Nun bedung er ſich aus, um allein ſeyn zu koͤnnen, einen Verſchlag auf dem Boden des Hauſes zu beziehen, wohin man ihm auch ein Bette gab, und wo er nun wieder, ganz ſich ſelbſt gelaſſen, ein paar nicht unangenehme Wo¬ chen zubrachte.
Er laß und ſtudirte hier oben, und wuͤrde in dieſer Abgezogenheit voͤllig gluͤcklich geweſen ſeyn, wenn ihn ſein Gedicht uͤber die Schoͤpfung nicht gequaͤlt haͤtte, welches machte, daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth,
L 5
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0183"n="169"/>ſahe, ſo ſehr hatte dieſe Nacht ihn abgemattet<lb/>
und entſtellt.</p><lb/><p>N. . . ruhete nicht eher, bis Reiſer ihm ſei¬<lb/>
nen ganzen Zuſtand entdeckt hatte. Nach freund¬<lb/>ſchaftlichen Vorwuͤrfen, daß Reiſer nicht mehr<lb/>
Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder<lb/>
nach ſeiner alten Wohnung, ſuchte ihn dort den<lb/>
Leuten in einem andern Lichte darzuſtellen, und<lb/>
tilgte die geringe Schuld ſeines Freundes.</p><lb/><p>Dieſe aufrichtige Theilnehmung ſeines Freun¬<lb/>
des ſtaͤrkte bei Reiſern wieder das erkrankte<lb/>
Selbſtgefuͤhl; er war gewiſſermaßen ſtolz auf<lb/>ſeinen Freund, und ehrte ſich in ihm.</p><lb/><p>Nun bedung er ſich aus, um allein ſeyn zu<lb/>
koͤnnen, einen Verſchlag auf dem Boden des<lb/>
Hauſes zu beziehen, wohin man ihm auch ein<lb/>
Bette gab, und wo er nun wieder, ganz ſich<lb/>ſelbſt gelaſſen, ein paar nicht unangenehme Wo¬<lb/>
chen zubrachte.</p><lb/><p>Er laß und ſtudirte hier oben, und wuͤrde<lb/>
in dieſer Abgezogenheit voͤllig gluͤcklich geweſen<lb/>ſeyn, wenn ihn ſein Gedicht uͤber die Schoͤpfung<lb/>
nicht gequaͤlt haͤtte, welches machte, daß er oft<lb/>
wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L 5<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[169/0183]
ſahe, ſo ſehr hatte dieſe Nacht ihn abgemattet
und entſtellt.
N. . . ruhete nicht eher, bis Reiſer ihm ſei¬
nen ganzen Zuſtand entdeckt hatte. Nach freund¬
ſchaftlichen Vorwuͤrfen, daß Reiſer nicht mehr
Zutrauen zu ihm gehabt, brachte er ihn wieder
nach ſeiner alten Wohnung, ſuchte ihn dort den
Leuten in einem andern Lichte darzuſtellen, und
tilgte die geringe Schuld ſeines Freundes.
Dieſe aufrichtige Theilnehmung ſeines Freun¬
des ſtaͤrkte bei Reiſern wieder das erkrankte
Selbſtgefuͤhl; er war gewiſſermaßen ſtolz auf
ſeinen Freund, und ehrte ſich in ihm.
Nun bedung er ſich aus, um allein ſeyn zu
koͤnnen, einen Verſchlag auf dem Boden des
Hauſes zu beziehen, wohin man ihm auch ein
Bette gab, und wo er nun wieder, ganz ſich
ſelbſt gelaſſen, ein paar nicht unangenehme Wo¬
chen zubrachte.
Er laß und ſtudirte hier oben, und wuͤrde
in dieſer Abgezogenheit voͤllig gluͤcklich geweſen
ſeyn, wenn ihn ſein Gedicht uͤber die Schoͤpfung
nicht gequaͤlt haͤtte, welches machte, daß er oft
wieder in eine Art von Verzweiflung gerieth,
L 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/183>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.