wieder sehen, die vielleicht unvorsetzlich ihm die Tage seiner Jugend verbittert hatten.
Nun war er aus diesem Kreise ganz geschie¬ den. -- Der Schauplatz seiner Leiden, die Welt, worin er die Schicksale seiner Jugend durchlebt hatte, lag hinter ihm -- er entfernte sich mit jedem Schritt von ihr, und konnte, so wie er sich eingerichtet hatte, acht Tage wan¬ dern, ohne daß ihn ein Mensch vermißte.
Nun fand er eine unbeschreibliche Süßigkeit in dem Gedanken, daß außer Philipp Reiser niemand um sein Schicksal, und um den Ort seines Aufenthalts wußte, daß selbst dieser einzige Freund sich bei seinem Ab¬ schiede nicht sehr bekümmert hatte; daß er nun außer allen Verhältnissen, und al¬ len Menschen zu denen er kam, völlig gleichgültig war.
Wenn das gänzliche Hinscheiden aus dem Leben durch irgend einen Zustand kann vorge¬ bildet werden, so muß es dieser seyn. --
So wie nun die Hitze des Tages sich legte, die Sonne sich neigte, und die Schatten der Bäume länger wurden, verdoppelte er seine
wieder ſehen, die vielleicht unvorſetzlich ihm die Tage ſeiner Jugend verbittert hatten.
Nun war er aus dieſem Kreiſe ganz geſchie¬ den. — Der Schauplatz ſeiner Leiden, die Welt, worin er die Schickſale ſeiner Jugend durchlebt hatte, lag hinter ihm — er entfernte ſich mit jedem Schritt von ihr, und konnte, ſo wie er ſich eingerichtet hatte, acht Tage wan¬ dern, ohne daß ihn ein Menſch vermißte.
Nun fand er eine unbeſchreibliche Suͤßigkeit in dem Gedanken, daß außer Philipp Reiſer niemand um ſein Schickſal, und um den Ort ſeines Aufenthalts wußte, daß ſelbſt dieſer einzige Freund ſich bei ſeinem Ab¬ ſchiede nicht ſehr bekuͤmmert hatte; daß er nun außer allen Verhaͤltniſſen, und al¬ len Menſchen zu denen er kam, voͤllig gleichguͤltig war.
Wenn das gaͤnzliche Hinſcheiden aus dem Leben durch irgend einen Zuſtand kann vorge¬ bildet werden, ſo muß es dieſer ſeyn. —
So wie nun die Hitze des Tages ſich legte, die Sonne ſich neigte, und die Schatten der Baͤume laͤnger wurden, verdoppelte er ſeine
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wieder ſehen, die vielleicht unvorſetzlich ihm die
Tage ſeiner Jugend verbittert hatten.
Nun war er aus dieſem Kreiſe ganz geſchie¬
den. — Der Schauplatz ſeiner Leiden, die
Welt, worin er die Schickſale ſeiner Jugend
durchlebt hatte, lag hinter ihm — er entfernte
ſich mit jedem Schritt von ihr, und konnte, ſo
wie er ſich eingerichtet hatte, acht Tage wan¬
dern, ohne daß ihn ein Menſch vermißte.
Nun fand er eine unbeſchreibliche Suͤßigkeit
in dem Gedanken, daß außer Philipp Reiſer
niemand um ſein Schickſal, und um den
Ort ſeines Aufenthalts wußte, daß ſelbſt
dieſer einzige Freund ſich bei ſeinem Ab¬
ſchiede nicht ſehr bekuͤmmert hatte; daß
er nun außer allen Verhaͤltniſſen, und al¬
len Menſchen zu denen er kam, voͤllig
gleichguͤltig war.
Wenn das gaͤnzliche Hinſcheiden aus dem
Leben durch irgend einen Zuſtand kann vorge¬
bildet werden, ſo muß es dieſer ſeyn. —
So wie nun die Hitze des Tages ſich legte,
die Sonne ſich neigte, und die Schatten der
Baͤume laͤnger wurden, verdoppelte er ſeine
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/16>, abgerufen am 16.02.2025.
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