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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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einzukleiden gelang, war etwas metaphysisches über
Ichheit und Selbstbewußtseyn. --

Denu da er nun weiter denken, und Gedan¬
ken niederschreiben wollte, so lag ihm natürlicher
Weise nichts näher, als diß: er wollte erst mit
sich selbst gleichsam in Richtigkeit seyn, ehe er zu
etwas anderm schritte. --

Nun fing er an, den Begriff des Indivi¬
duums
zu verfolgen, der ihm schon seit einigen
Jahren, da er zuerst etwas von Logik gehört
hatte, vorzüglich wichtig geworden war, -- und
da er nun endlich auf den höchsten Grad des
Bestimmtseyns von allen Seiten, und des voll¬
kommen sich selbst gleich seyns stieß
-- so
war es ihm nach einigem Nachdenken, als ob
er sich selbst entschwunden wäre -- und sich
erst in der Reihe seiner Erinnerungen an
das Vergangene wieder suchen müßte.
-- Er
fühlte, daß sich das Daseyn nur an der Kette die¬
ser unumterbrochnen Erinnerungen festhielt. --

Die wahre Existenz schien ihm nur auf das
eigentliche Individuum begrenzt zu seyn --
und außer einem ewig unveränderlichen, alles

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einzukleiden gelang, war etwas metaphyſiſches uͤber
Ichheit und Selbſtbewußtſeyn. —

Denu da er nun weiter denken, und Gedan¬
ken niederſchreiben wollte, ſo lag ihm natuͤrlicher
Weiſe nichts naͤher, als diß: er wollte erſt mit
ſich ſelbſt gleichſam in Richtigkeit ſeyn, ehe er zu
etwas anderm ſchritte. —

Nun fing er an, den Begriff des Indivi¬
duums
zu verfolgen, der ihm ſchon ſeit einigen
Jahren, da er zuerſt etwas von Logik gehoͤrt
hatte, vorzuͤglich wichtig geworden war, — und
da er nun endlich auf den hoͤchſten Grad des
Beſtimmtſeyns von allen Seiten, und des voll¬
kommen ſich ſelbſt gleich ſeyns ſtieß
— ſo
war es ihm nach einigem Nachdenken, als ob
er ſich ſelbſt entſchwunden waͤre — und ſich
erſt in der Reihe ſeiner Erinnerungen an
das Vergangene wieder ſuchen muͤßte.
— Er
fuͤhlte, daß ſich das Daſeyn nur an der Kette die¬
ſer unumterbrochnen Erinnerungen feſthielt. —

Die wahre Exiſtenz ſchien ihm nur auf das
eigentliche Individuum begrenzt zu ſeyn —
und außer einem ewig unveraͤnderlichen, alles

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[53/0063] einzukleiden gelang, war etwas metaphyſiſches uͤber Ichheit und Selbſtbewußtſeyn. — Denu da er nun weiter denken, und Gedan¬ ken niederſchreiben wollte, ſo lag ihm natuͤrlicher Weiſe nichts naͤher, als diß: er wollte erſt mit ſich ſelbſt gleichſam in Richtigkeit ſeyn, ehe er zu etwas anderm ſchritte. — Nun fing er an, den Begriff des Indivi¬ duums zu verfolgen, der ihm ſchon ſeit einigen Jahren, da er zuerſt etwas von Logik gehoͤrt hatte, vorzuͤglich wichtig geworden war, — und da er nun endlich auf den hoͤchſten Grad des Beſtimmtſeyns von allen Seiten, und des voll¬ kommen ſich ſelbſt gleich ſeyns ſtieß — ſo war es ihm nach einigem Nachdenken, als ob er ſich ſelbſt entſchwunden waͤre — und ſich erſt in der Reihe ſeiner Erinnerungen an das Vergangene wieder ſuchen muͤßte. — Er fuͤhlte, daß ſich das Daſeyn nur an der Kette die¬ ſer unumterbrochnen Erinnerungen feſthielt. — Die wahre Exiſtenz ſchien ihm nur auf das eigentliche Individuum begrenzt zu ſeyn — und außer einem ewig unveraͤnderlichen, alles D 3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/63>, abgerufen am 27.11.2024.