eine Seelenstimmung, wo ihm Youngs Nacht¬ gedanken, die er damals zufälligerweise erhielt, eine höchst willkommene Lektüre waren -- es däuch¬ te ihm, als fände er hier alle seine vorigen Vorstel¬ lungen von der Nichtigkeit des Lebens, und der Eitelkeit aller menschlichen Dinge wieder. -- Er konnte sich nicht satt in diesem Buche lesen, und lernte die Gedanken und Empfindungen, welche darin herrschen, beinahe auswendig.
Die einzige Linderung bei seinen Kopfschmer¬ zen war, wenn er ausgestreckt rücklings auf dem Bette liegen konnte -- in dieser Stellung blieb er denn oft ganze Tage lang, und las -- diß war der einzige ihm übrig gebliebene Genuß des Le¬ bens, an dem er sich noch festhielt, da sonst die tödtendste Langeweile ihm das elende Leben, was er noch fortschleppte, unerträglich gemacht haben würde. --
Um sich nun zuweilen dem Geräusch, das ihn umgab, zu entziehen, scheute er manchmal weder Regen noch Schnee, sondern machte des Abends, wenn es dunkel wurde, und er sicher war, daß er von niemanden gesehen, noch von irgend einem Menschen würde angeredet werden,
eine Seelenſtimmung, wo ihm Youngs Nacht¬ gedanken, die er damals zufaͤlligerweiſe erhielt, eine hoͤchſt willkommene Lektuͤre waren — es daͤuch¬ te ihm, als faͤnde er hier alle ſeine vorigen Vorſtel¬ lungen von der Nichtigkeit des Lebens, und der Eitelkeit aller menſchlichen Dinge wieder. — Er konnte ſich nicht ſatt in dieſem Buche leſen, und lernte die Gedanken und Empfindungen, welche darin herrſchen, beinahe auswendig.
Die einzige Linderung bei ſeinen Kopfſchmer¬ zen war, wenn er ausgeſtreckt ruͤcklings auf dem Bette liegen konnte — in dieſer Stellung blieb er denn oft ganze Tage lang, und las — diß war der einzige ihm uͤbrig gebliebene Genuß des Le¬ bens, an dem er ſich noch feſthielt, da ſonſt die toͤdtendſte Langeweile ihm das elende Leben, was er noch fortſchleppte, unertraͤglich gemacht haben wuͤrde. —
Um ſich nun zuweilen dem Geraͤuſch, das ihn umgab, zu entziehen, ſcheute er manchmal weder Regen noch Schnee, ſondern machte des Abends, wenn es dunkel wurde, und er ſicher war, daß er von niemanden geſehen, noch von irgend einem Menſchen wuͤrde angeredet werden,
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eine Seelenſtimmung, wo ihm Youngs Nacht¬
gedanken, die er damals zufaͤlligerweiſe erhielt,
eine hoͤchſt willkommene Lektuͤre waren — es daͤuch¬
te ihm, als faͤnde er hier alle ſeine vorigen Vorſtel¬
lungen von der Nichtigkeit des Lebens, und der
Eitelkeit aller menſchlichen Dinge wieder. — Er
konnte ſich nicht ſatt in dieſem Buche leſen, und
lernte die Gedanken und Empfindungen, welche
darin herrſchen, beinahe auswendig.
Die einzige Linderung bei ſeinen Kopfſchmer¬
zen war, wenn er ausgeſtreckt ruͤcklings auf dem
Bette liegen konnte — in dieſer Stellung blieb
er denn oft ganze Tage lang, und las — diß war
der einzige ihm uͤbrig gebliebene Genuß des Le¬
bens, an dem er ſich noch feſthielt, da ſonſt die
toͤdtendſte Langeweile ihm das elende Leben, was
er noch fortſchleppte, unertraͤglich gemacht haben
wuͤrde. —
Um ſich nun zuweilen dem Geraͤuſch, das
ihn umgab, zu entziehen, ſcheute er manchmal
weder Regen noch Schnee, ſondern machte des
Abends, wenn es dunkel wurde, und er ſicher
war, daß er von niemanden geſehen, noch von
irgend einem Menſchen wuͤrde angeredet werden,
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/46>, abgerufen am 16.02.2025.
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