Enge, und noch engere, und immer engere -- wohinter nun nichts weiter mehr lag -- trieb ihn mit schrecklicher Gewalt von dem winzigen Kirchhofe weg, und jagte ihn vor sich her, in der dunklen Nacht, als ob er dem Sarge, das ihn einzuschließen drohte, hätte entfliehen wol¬ len. -- Das Dorf mit dem Kirchhofe war ihm ein Anblick des Schreckens, so lange er es noch hinter sich sahe -- auf dem Kirchhofe war ihm ein sonderbarer Schrecken angewandelt -- was er so oft gewünscht hatte, schien ihm gewährt zu werden, das Grab schien seine Beute zu for¬ dern, und noch stets, so wie er flohe, hinter ihm seinen Schlund zu eröfnen -- erst da er ein an¬ dres Dorf erreichte, war er wieder ruhiger. --
Was ihm aber auf dem Kirchhofe den Ge¬ danken des Todes so schrecklich machte, war die Vorstellung des Kleinen, die, so wie sie herr¬ schend wurde, in seine Seele eine fürchterliche Leere hervorbrachte, welche ihm zuletzt unerträg¬ lich war. -- Das Kleine nahet sich dem Hin¬ schwinden, der Vernichtung -- die Idee des Kleinen ist es, welche Leiden, Leerrheit, und Traurigkeit hervorbringt -- das Grab ist das
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Enge, und noch engere, und immer engere — wohinter nun nichts weiter mehr lag — trieb ihn mit ſchrecklicher Gewalt von dem winzigen Kirchhofe weg, und jagte ihn vor ſich her, in der dunklen Nacht, als ob er dem Sarge, das ihn einzuſchließen drohte, haͤtte entfliehen wol¬ len. — Das Dorf mit dem Kirchhofe war ihm ein Anblick des Schreckens, ſo lange er es noch hinter ſich ſahe — auf dem Kirchhofe war ihm ein ſonderbarer Schrecken angewandelt — was er ſo oft gewuͤnſcht hatte, ſchien ihm gewaͤhrt zu werden, das Grab ſchien ſeine Beute zu for¬ dern, und noch ſtets, ſo wie er flohe, hinter ihm ſeinen Schlund zu eroͤfnen — erſt da er ein an¬ dres Dorf erreichte, war er wieder ruhiger. —
Was ihm aber auf dem Kirchhofe den Ge¬ danken des Todes ſo ſchrecklich machte, war die Vorſtellung des Kleinen, die, ſo wie ſie herr¬ ſchend wurde, in ſeine Seele eine fuͤrchterliche Leere hervorbrachte, welche ihm zuletzt unertraͤg¬ lich war. — Das Kleine nahet ſich dem Hin¬ ſchwinden, der Vernichtung — die Idee des Kleinen iſt es, welche Leiden, Leerrheit, und Traurigkeit hervorbringt — das Grab iſt das
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Enge, und noch engere, und immer engere
— wohinter nun nichts weiter mehr lag — trieb
ihn mit ſchrecklicher Gewalt von dem winzigen
Kirchhofe weg, und jagte ihn vor ſich her, in
der dunklen Nacht, als ob er dem Sarge, das
ihn einzuſchließen drohte, haͤtte entfliehen wol¬
len. — Das Dorf mit dem Kirchhofe war ihm
ein Anblick des Schreckens, ſo lange er es noch
hinter ſich ſahe — auf dem Kirchhofe war ihm
ein ſonderbarer Schrecken angewandelt — was
er ſo oft gewuͤnſcht hatte, ſchien ihm gewaͤhrt
zu werden, das Grab ſchien ſeine Beute zu for¬
dern, und noch ſtets, ſo wie er flohe, hinter ihm
ſeinen Schlund zu eroͤfnen — erſt da er ein an¬
dres Dorf erreichte, war er wieder ruhiger. —
Was ihm aber auf dem Kirchhofe den Ge¬
danken des Todes ſo ſchrecklich machte, war die
Vorſtellung des Kleinen, die, ſo wie ſie herr¬
ſchend wurde, in ſeine Seele eine fuͤrchterliche
Leere hervorbrachte, welche ihm zuletzt unertraͤg¬
lich war. — Das Kleine nahet ſich dem Hin¬
ſchwinden, der Vernichtung — die Idee des
Kleinen iſt es, welche Leiden, Leerrheit, und
Traurigkeit hervorbringt — das Grab iſt das
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/239>, abgerufen am 16.02.2025.
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