Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Als der Klavigo probirt wurde, hatte er sich
in eine der Logen versteckt -- und während daß
J. . . als Beaumarchais auf dem Theater wüthe¬
te, wüthete Reiser, der in der Loge ausgestreckt
am Boden lag, gegen sich selber, und seine Rase¬
rel ging so weit, daß er sich das Gesicht mit
Glasscherben, die am Boden lagen, zerschnitt,
und sich die Haare raufte. -- Denn die Erleuch¬
tung, die Blicke unzähliger Zuschauer, alle auf
ihn allein hingeheftet, und sich, vor allen diesen
forschenden Blicken seine innersten Seelenkräfte
äußernd, durch die Erschütterung seiner Nerven
auf jede Nerve der Zuschauer wirkend -- das
alles wurde ihm in dem Augenblick gegenwärtig
-- und nun sollte er nichts, wie unter der
Menge verlohren, ein bloßer Zuschauer seyn,
wie er jetzt war, während daß ein Dummkopf,
der den Klavigo spielte, alle die Aufmerksamkeit
auf sich zog, die ihm, dem stärker empfindenden,
gebührt hätte. --

Nach alle den vorhergehenden Situa¬
tionen, worin er sich seit Jahren beunden
hatte, war ihm nun die Rolle des Klavigo
gleichsam Zweck seines Lebens geworden,

das

Als der Klavigo probirt wurde, hatte er ſich
in eine der Logen verſteckt — und waͤhrend daß
J. . . als Beaumarchais auf dem Theater wuͤthe¬
te, wuͤthete Reiſer, der in der Loge ausgeſtreckt
am Boden lag, gegen ſich ſelber, und ſeine Raſe¬
rel ging ſo weit, daß er ſich das Geſicht mit
Glasſcherben, die am Boden lagen, zerſchnitt,
und ſich die Haare raufte. — Denn die Erleuch¬
tung, die Blicke unzaͤhliger Zuſchauer, alle auf
ihn allein hingeheftet, und ſich, vor allen dieſen
forſchenden Blicken ſeine innerſten Seelenkraͤfte
aͤußernd, durch die Erſchuͤtterung ſeiner Nerven
auf jede Nerve der Zuſchauer wirkend — das
alles wurde ihm in dem Augenblick gegenwaͤrtig
— und nun ſollte er nichts, wie unter der
Menge verlohren, ein bloßer Zuſchauer ſeyn,
wie er jetzt war, waͤhrend daß ein Dummkopf,
der den Klavigo ſpielte, alle die Aufmerkſamkeit
auf ſich zog, die ihm, dem ſtaͤrker empfindenden,
gebuͤhrt haͤtte. —

Nach alle den vorhergehenden Situa¬
tionen, worin er ſich ſeit Jahren beunden
hatte, war ihm nun die Rolle des Klavigo
gleichſam Zweck ſeines Lebens geworden,

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0218" n="208"/>
      <p>Als der Klavigo probirt wurde, hatte er &#x017F;ich<lb/>
in eine der Logen ver&#x017F;teckt &#x2014; und wa&#x0364;hrend daß<lb/>
J. . . als Beaumarchais auf dem Theater wu&#x0364;the¬<lb/>
te, wu&#x0364;thete Rei&#x017F;er, der in der Loge ausge&#x017F;treckt<lb/>
am Boden lag, gegen &#x017F;ich &#x017F;elber, und &#x017F;eine Ra&#x017F;<lb/>
rel ging &#x017F;o weit, daß er &#x017F;ich das Ge&#x017F;icht mit<lb/>
Glas&#x017F;cherben, die am Boden lagen, zer&#x017F;chnitt,<lb/>
und &#x017F;ich die Haare raufte. &#x2014; Denn die Erleuch¬<lb/>
tung, die Blicke unza&#x0364;hliger Zu&#x017F;chauer, alle auf<lb/>
ihn allein hingeheftet, und &#x017F;ich, vor allen die&#x017F;en<lb/>
for&#x017F;chenden Blicken &#x017F;eine inner&#x017F;ten Seelenkra&#x0364;fte<lb/>
a&#x0364;ußernd, durch die Er&#x017F;chu&#x0364;tterung &#x017F;einer Nerven<lb/>
auf jede Nerve der Zu&#x017F;chauer wirkend &#x2014; das<lb/>
alles wurde ihm in dem Augenblick gegenwa&#x0364;rtig<lb/>
&#x2014; und nun &#x017F;ollte er nichts, wie unter der<lb/><hi rendition="#fr">Menge verlohren</hi>, ein bloßer Zu&#x017F;chauer &#x017F;eyn,<lb/>
wie er jetzt war, wa&#x0364;hrend daß ein Dummkopf,<lb/>
der den Klavigo &#x017F;pielte, alle die Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
auf &#x017F;ich zog, die ihm, dem &#x017F;ta&#x0364;rker empfindenden,<lb/>
gebu&#x0364;hrt ha&#x0364;tte. &#x2014;</p><lb/>
      <p><hi rendition="#fr">Nach</hi> alle <hi rendition="#fr">den vorhergehenden Situa¬<lb/>
tionen, worin er &#x017F;ich &#x017F;eit Jahren beunden<lb/>
hatte, war ihm nun die Rolle des Klavigo<lb/>
gleich&#x017F;am Zweck &#x017F;eines Lebens geworden,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0218] Als der Klavigo probirt wurde, hatte er ſich in eine der Logen verſteckt — und waͤhrend daß J. . . als Beaumarchais auf dem Theater wuͤthe¬ te, wuͤthete Reiſer, der in der Loge ausgeſtreckt am Boden lag, gegen ſich ſelber, und ſeine Raſe¬ rel ging ſo weit, daß er ſich das Geſicht mit Glasſcherben, die am Boden lagen, zerſchnitt, und ſich die Haare raufte. — Denn die Erleuch¬ tung, die Blicke unzaͤhliger Zuſchauer, alle auf ihn allein hingeheftet, und ſich, vor allen dieſen forſchenden Blicken ſeine innerſten Seelenkraͤfte aͤußernd, durch die Erſchuͤtterung ſeiner Nerven auf jede Nerve der Zuſchauer wirkend — das alles wurde ihm in dem Augenblick gegenwaͤrtig — und nun ſollte er nichts, wie unter der Menge verlohren, ein bloßer Zuſchauer ſeyn, wie er jetzt war, waͤhrend daß ein Dummkopf, der den Klavigo ſpielte, alle die Aufmerkſamkeit auf ſich zog, die ihm, dem ſtaͤrker empfindenden, gebuͤhrt haͤtte. — Nach alle den vorhergehenden Situa¬ tionen, worin er ſich ſeit Jahren beunden hatte, war ihm nun die Rolle des Klavigo gleichſam Zweck ſeines Lebens geworden, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/218
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/218>, abgerufen am 22.11.2024.