Wie groß war aber sein Erschrecken, da er sich in der Wohnung desselben nach ihm erkun¬ digte, und erfuhr, daß er erst den Abend spät zu Hause kommen würde. -- Er blieb auf der Straße nicht weit von dem Hause stehen -- die Dunkelheit der Nacht brach herein -- in einen Gasthof getraute er sich ohne Geld nicht zu ge¬ hen -- alle seine romanhaften Ideen, die ihm vorher diesen Zustand noch erleichtert hatten, waren verschwunden, er empfand nichts, als die grausame Nothwendigkeit, diese Nacht von Hun¬ ger und Müdigkeit gequält, mitten in einer volk¬ reichen Stadt unter freiem Himmel zubringen zu müssen. --
Indem er nun melancholisch da stand, und sich verlegen nach allen Seiten umsah, kam ein wohlgekleideter Mann dahergegangen, der ihn genau betrachtete, und ihn mit mitleidiger Miene fragte, ob er etwa hier fremd sey? -- allein er konnte sich nicht überwinden, diesem Manne seinen Zustand zu entdecken -- sondern war ent¬ schlossen, lieber auf alle Fälle die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, welches er auch würde gethan haben, wenn nach so vielen Wieder¬
Wie groß war aber ſein Erſchrecken, da er ſich in der Wohnung deſſelben nach ihm erkun¬ digte, und erfuhr, daß er erſt den Abend ſpaͤt zu Hauſe kommen wuͤrde. — Er blieb auf der Straße nicht weit von dem Hauſe ſtehen — die Dunkelheit der Nacht brach herein — in einen Gaſthof getraute er ſich ohne Geld nicht zu ge¬ hen — alle ſeine romanhaften Ideen, die ihm vorher dieſen Zuſtand noch erleichtert hatten, waren verſchwunden, er empfand nichts, als die grauſame Nothwendigkeit, dieſe Nacht von Hun¬ ger und Muͤdigkeit gequaͤlt, mitten in einer volk¬ reichen Stadt unter freiem Himmel zubringen zu muͤſſen. —
Indem er nun melancholiſch da ſtand, und ſich verlegen nach allen Seiten umſah, kam ein wohlgekleideter Mann dahergegangen, der ihn genau betrachtete, und ihn mit mitleidiger Miene fragte, ob er etwa hier fremd ſey? — allein er konnte ſich nicht uͤberwinden, dieſem Manne ſeinen Zuſtand zu entdecken — ſondern war ent¬ ſchloſſen, lieber auf alle Faͤlle die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, welches er auch wuͤrde gethan haben, wenn nach ſo vielen Wieder¬
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Wie groß war aber ſein Erſchrecken, da er
ſich in der Wohnung deſſelben nach ihm erkun¬
digte, und erfuhr, daß er erſt den Abend ſpaͤt zu
Hauſe kommen wuͤrde. — Er blieb auf der
Straße nicht weit von dem Hauſe ſtehen — die
Dunkelheit der Nacht brach herein — in einen
Gaſthof getraute er ſich ohne Geld nicht zu ge¬
hen — alle ſeine romanhaften Ideen, die ihm
vorher dieſen Zuſtand noch erleichtert hatten,
waren verſchwunden, er empfand nichts, als die
grauſame Nothwendigkeit, dieſe Nacht von Hun¬
ger und Muͤdigkeit gequaͤlt, mitten in einer volk¬
reichen Stadt unter freiem Himmel zubringen
zu muͤſſen. —
Indem er nun melancholiſch da ſtand, und
ſich verlegen nach allen Seiten umſah, kam ein
wohlgekleideter Mann dahergegangen, der ihn
genau betrachtete, und ihn mit mitleidiger Miene
fragte, ob er etwa hier fremd ſey? — allein er
konnte ſich nicht uͤberwinden, dieſem Manne
ſeinen Zuſtand zu entdecken — ſondern war ent¬
ſchloſſen, lieber auf alle Faͤlle die Nacht unter
freiem Himmel zuzubringen, welches er auch
wuͤrde gethan haben, wenn nach ſo vielen Wieder¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/178>, abgerufen am 16.02.2025.
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