Es bemächtigte sich seiner hiebei ein Gefühl, das er in seinen Leben noch nicht gekannt hatte -- seinen Vater neben sich in bittender Stellung vor dem Pastor M... stehen zu sehen, war ihm unerträglich -- alles in der Welt hätte er darum gegeben, daß dieser in dem Augenblick hundert Meilen weit entfernt gewesen wäre. -- Er fühlte sich in seinem Vater doppelt gedemüthigt und beschämt -- und dann kam der Verdruß dazu, daß ihm die ganze Fußfallsscene mißlungen war -- alles ging nun so kalt, so gemein, so gewöhnlich zu -- -- Reiser stand so unausgezeichnet, wie ein ganz gemeiner, all¬ täglicher Bösewicht da, dem man über sein Be¬ tragen die verdienten Vorwürfe macht -- und er wollte sich doch selbst, als einen recht großen Bö¬ sewicht schildern, und selbst die härteste Strafe für sein Verbrechen nun auf sich herab erbit¬ ten. --
Allein kein Zufall in seinem Leben fügte sich vielleicht mehr zu seinem wahren Vortheil, als eben dieser -- Wäre es ihm dißmal mit der an¬ gelegten Scene gelungen, wer weiß, wozu er in der Folge noch geschritten, und was für Rollen
Es bemaͤchtigte ſich ſeiner hiebei ein Gefuͤhl, das er in ſeinen Leben noch nicht gekannt hatte — ſeinen Vater neben ſich in bittender Stellung vor dem Paſtor M... ſtehen zu ſehen, war ihm unertraͤglich — alles in der Welt haͤtte er darum gegeben, daß dieſer in dem Augenblick hundert Meilen weit entfernt geweſen waͤre. — Er fuͤhlte ſich in ſeinem Vater doppelt gedemuͤthigt und beſchaͤmt — und dann kam der Verdruß dazu, daß ihm die ganze Fußfallsſcene mißlungen war — alles ging nun ſo kalt, ſo gemein, ſo gewoͤhnlich zu — — Reiſer ſtand ſo unausgezeichnet, wie ein ganz gemeiner, all¬ taͤglicher Boͤſewicht da, dem man uͤber ſein Be¬ tragen die verdienten Vorwuͤrfe macht — und er wollte ſich doch ſelbſt, als einen recht großen Boͤ¬ ſewicht ſchildern, und ſelbſt die haͤrteſte Strafe fuͤr ſein Verbrechen nun auf ſich herab erbit¬ ten. —
Allein kein Zufall in ſeinem Leben fuͤgte ſich vielleicht mehr zu ſeinem wahren Vortheil, als eben dieſer — Waͤre es ihm dißmal mit der an¬ gelegten Scene gelungen, wer weiß, wozu er in der Folge noch geſchritten, und was fuͤr Rollen
<TEI><text><body><pbfacs="#f0016"n="6"/><p>Es bemaͤchtigte ſich ſeiner hiebei ein Gefuͤhl,<lb/>
das er in ſeinen Leben noch nicht gekannt hatte<lb/>—<hirendition="#fr">ſeinen Vater neben ſich in bittender<lb/>
Stellung vor dem Paſtor M... ſtehen zu<lb/>ſehen</hi>, war ihm unertraͤglich — alles in der<lb/>
Welt haͤtte er darum gegeben, daß dieſer in dem<lb/>
Augenblick hundert Meilen weit entfernt geweſen<lb/>
waͤre. — Er fuͤhlte ſich in ſeinem Vater doppelt<lb/>
gedemuͤthigt und beſchaͤmt — und dann kam der<lb/>
Verdruß dazu, daß ihm die ganze Fußfallsſcene<lb/>
mißlungen war — alles ging nun ſo <hirendition="#fr">kalt</hi>, ſo<lb/><hirendition="#fr">gemein</hi>, ſo <hirendition="#fr">gewoͤhnlich</hi> zu —— Reiſer ſtand<lb/>ſo unausgezeichnet, wie ein ganz gemeiner, all¬<lb/>
taͤglicher Boͤſewicht da, dem man uͤber ſein Be¬<lb/>
tragen die verdienten Vorwuͤrfe macht — und er<lb/>
wollte ſich doch ſelbſt, als einen recht großen Boͤ¬<lb/>ſewicht ſchildern, und ſelbſt die haͤrteſte Strafe<lb/>
fuͤr ſein Verbrechen nun auf ſich herab erbit¬<lb/>
ten. —</p><lb/><p>Allein kein Zufall in ſeinem Leben fuͤgte ſich<lb/>
vielleicht mehr zu ſeinem wahren Vortheil, als<lb/>
eben dieſer — Waͤre es ihm dißmal mit der an¬<lb/>
gelegten Scene gelungen, wer weiß, wozu er in<lb/>
der Folge noch geſchritten, und was fuͤr Rollen<lb/></p></body></text></TEI>
[6/0016]
Es bemaͤchtigte ſich ſeiner hiebei ein Gefuͤhl,
das er in ſeinen Leben noch nicht gekannt hatte
— ſeinen Vater neben ſich in bittender
Stellung vor dem Paſtor M... ſtehen zu
ſehen, war ihm unertraͤglich — alles in der
Welt haͤtte er darum gegeben, daß dieſer in dem
Augenblick hundert Meilen weit entfernt geweſen
waͤre. — Er fuͤhlte ſich in ſeinem Vater doppelt
gedemuͤthigt und beſchaͤmt — und dann kam der
Verdruß dazu, daß ihm die ganze Fußfallsſcene
mißlungen war — alles ging nun ſo kalt, ſo
gemein, ſo gewoͤhnlich zu — — Reiſer ſtand
ſo unausgezeichnet, wie ein ganz gemeiner, all¬
taͤglicher Boͤſewicht da, dem man uͤber ſein Be¬
tragen die verdienten Vorwuͤrfe macht — und er
wollte ſich doch ſelbſt, als einen recht großen Boͤ¬
ſewicht ſchildern, und ſelbſt die haͤrteſte Strafe
fuͤr ſein Verbrechen nun auf ſich herab erbit¬
ten. —
Allein kein Zufall in ſeinem Leben fuͤgte ſich
vielleicht mehr zu ſeinem wahren Vortheil, als
eben dieſer — Waͤre es ihm dißmal mit der an¬
gelegten Scene gelungen, wer weiß, wozu er in
der Folge noch geſchritten, und was fuͤr Rollen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/16>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.