Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

reichte er denn dem Direktor eine Abschrift von
den beiden Gedichten, die er deklamirt hatte,
und sagte ihm, daß er selbst der Verfasser da¬
von wäre. --

Des Direktors Minen, der ihn sonst ziem¬
lich gleichgültig angesehen hatte, heiterten sich
sichtbar gegen ihn auf, da er dieß sagte, und von
dem Augenblick an schien dieser Mann sein Freund
zu werden -- er ließ sich mit ihm in ein Ge¬
spräch über die Dichtkunst ein, erkundigte sich nach
seiner Lektüre, und Reiser ging mit freudenvollen
Herzen über die gute Aufnahme seiner Gedichte
zu Hause. --

Den andern Tag verkündigte er Philipp Rei¬
sern sein Glück, der sich aufrichtig mit ihm darü¬
ber freute, daß man nun einmal aufhören würde,
ihn zu verkennen, und nun vielleicht glücklichere
Tage auf ihn warteten. --

Nun fügte es sich, daß Reiser in der fol¬
genden Woche am Montag Morgen etwas
spät in die erste Lehrstunde kam, welche der Di¬
rektor hielt, und in welcher er die lateinischen
Aufsätze ohne Nennung der Nahmen öffentlich
zu beurtheilen pflegte. -- Und da er nun in den

H 5

reichte er denn dem Direktor eine Abſchrift von
den beiden Gedichten, die er deklamirt hatte,
und ſagte ihm, daß er ſelbſt der Verfaſſer da¬
von waͤre. —

Des Direktors Minen, der ihn ſonſt ziem¬
lich gleichguͤltig angeſehen hatte, heiterten ſich
ſichtbar gegen ihn auf, da er dieß ſagte, und von
dem Augenblick an ſchien dieſer Mann ſein Freund
zu werden — er ließ ſich mit ihm in ein Ge¬
ſpraͤch uͤber die Dichtkunſt ein, erkundigte ſich nach
ſeiner Lektuͤre, und Reiſer ging mit freudenvollen
Herzen uͤber die gute Aufnahme ſeiner Gedichte
zu Hauſe. —

Den andern Tag verkuͤndigte er Philipp Rei¬
ſern ſein Gluͤck, der ſich aufrichtig mit ihm daruͤ¬
ber freute, daß man nun einmal aufhoͤren wuͤrde,
ihn zu verkennen, und nun vielleicht gluͤcklichere
Tage auf ihn warteten. —

Nun fuͤgte es ſich, daß Reiſer in der fol¬
genden Woche am Montag Morgen etwas
ſpaͤt in die erſte Lehrſtunde kam, welche der Di¬
rektor hielt, und in welcher er die lateiniſchen
Aufſaͤtze ohne Nennung der Nahmen oͤffentlich
zu beurtheilen pflegte. — Und da er nun in den

H 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0131" n="121"/>
reichte er denn dem Direktor eine Ab&#x017F;chrift von<lb/>
den beiden Gedichten, die er deklamirt hatte,<lb/>
und &#x017F;agte ihm, daß er &#x017F;elb&#x017F;t der Verfa&#x017F;&#x017F;er da¬<lb/>
von wa&#x0364;re. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Des Direktors Minen, der ihn &#x017F;on&#x017F;t ziem¬<lb/>
lich gleichgu&#x0364;ltig ange&#x017F;ehen hatte, heiterten &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ichtbar gegen ihn auf, da er dieß &#x017F;agte, und von<lb/>
dem Augenblick an &#x017F;chien die&#x017F;er Mann &#x017F;ein Freund<lb/>
zu werden &#x2014; er ließ &#x017F;ich mit ihm in ein Ge¬<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;ch u&#x0364;ber die Dichtkun&#x017F;t ein, erkundigte &#x017F;ich nach<lb/>
&#x017F;einer Lektu&#x0364;re, und Rei&#x017F;er ging mit freudenvollen<lb/>
Herzen u&#x0364;ber die gute Aufnahme &#x017F;einer Gedichte<lb/>
zu Hau&#x017F;e. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Den andern Tag verku&#x0364;ndigte er Philipp Rei¬<lb/>
&#x017F;ern &#x017F;ein Glu&#x0364;ck, der &#x017F;ich aufrichtig mit ihm daru&#x0364;¬<lb/>
ber freute, daß man nun einmal aufho&#x0364;ren wu&#x0364;rde,<lb/>
ihn zu verkennen, und nun vielleicht glu&#x0364;cklichere<lb/>
Tage auf ihn warteten. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Nun fu&#x0364;gte es &#x017F;ich, daß Rei&#x017F;er in der fol¬<lb/>
genden Woche am Montag Morgen etwas<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;t in die er&#x017F;te Lehr&#x017F;tunde kam, welche der Di¬<lb/>
rektor hielt, und in welcher er die lateini&#x017F;chen<lb/>
Auf&#x017F;a&#x0364;tze ohne Nennung der Nahmen o&#x0364;ffentlich<lb/>
zu beurtheilen pflegte. &#x2014; Und da er nun in den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 5<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0131] reichte er denn dem Direktor eine Abſchrift von den beiden Gedichten, die er deklamirt hatte, und ſagte ihm, daß er ſelbſt der Verfaſſer da¬ von waͤre. — Des Direktors Minen, der ihn ſonſt ziem¬ lich gleichguͤltig angeſehen hatte, heiterten ſich ſichtbar gegen ihn auf, da er dieß ſagte, und von dem Augenblick an ſchien dieſer Mann ſein Freund zu werden — er ließ ſich mit ihm in ein Ge¬ ſpraͤch uͤber die Dichtkunſt ein, erkundigte ſich nach ſeiner Lektuͤre, und Reiſer ging mit freudenvollen Herzen uͤber die gute Aufnahme ſeiner Gedichte zu Hauſe. — Den andern Tag verkuͤndigte er Philipp Rei¬ ſern ſein Gluͤck, der ſich aufrichtig mit ihm daruͤ¬ ber freute, daß man nun einmal aufhoͤren wuͤrde, ihn zu verkennen, und nun vielleicht gluͤcklichere Tage auf ihn warteten. — Nun fuͤgte es ſich, daß Reiſer in der fol¬ genden Woche am Montag Morgen etwas ſpaͤt in die erſte Lehrſtunde kam, welche der Di¬ rektor hielt, und in welcher er die lateiniſchen Aufſaͤtze ohne Nennung der Nahmen oͤffentlich zu beurtheilen pflegte. — Und da er nun in den H 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/131
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/131>, abgerufen am 27.11.2024.