Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite
Doch denke einen Gott, und schnell wirds
um dich helle --
Und deine Seele schwingt sich mächtig him¬
melan. --

Durch die Empfindungen, welche während
der Zeit, daß er diß Gedicht verfertigte, in ihm
abwechselten, war wirklich seine ganze Seele er¬
schüttert -- er bebte vor dem schrecklichen Ab¬
grunde des blinden Ohngefährs, an dessen Rande
er schon stand, mit Schaudern und Entsetzen zurück,
und schmiegte sich gleichsam mit allen seinen Gedan¬
ken und Empfindungen in die tröstende Idee von
dem Daseyn eines alles regierenden und lenken¬
den gütigen Wesens hinein --

Da nun diß Gedicht auch seines Freundes völ¬
ligen Beifall fand, so lernte es auswendig, und
den nächsten Tag in der Woche, da Deklama¬
tionsübung war, nahm er sich vor, es zu dekla¬
miren. -- Er erschien hierbei mit seinem neuan¬
geschaften Kleide, das sich ziemlich gut ausnahm,
und das erste feine Kleid war, welches er in sei¬
nem Leben trug -- das war ein nicht unbedeu¬

H 3
Doch denke einen Gott, und ſchnell wirds
um dich helle —
Und deine Seele ſchwingt ſich maͤchtig him¬
melan. —

Durch die Empfindungen, welche waͤhrend
der Zeit, daß er diß Gedicht verfertigte, in ihm
abwechſelten, war wirklich ſeine ganze Seele er¬
ſchuͤttert — er bebte vor dem ſchrecklichen Ab¬
grunde des blinden Ohngefaͤhrs, an deſſen Rande
er ſchon ſtand, mit Schaudern und Entſetzen zuruͤck,
und ſchmiegte ſich gleichſam mit allen ſeinen Gedan¬
ken und Empfindungen in die troͤſtende Idee von
dem Daſeyn eines alles regierenden und lenken¬
den guͤtigen Weſens hinein —

Da nun diß Gedicht auch ſeines Freundes voͤl¬
ligen Beifall fand, ſo lernte es auswendig, und
den naͤchſten Tag in der Woche, da Deklama¬
tionsuͤbung war, nahm er ſich vor, es zu dekla¬
miren. — Er erſchien hierbei mit ſeinem neuan¬
geſchaften Kleide, das ſich ziemlich gut ausnahm,
und das erſte feine Kleid war, welches er in ſei¬
nem Leben trug — das war ein nicht unbedeu¬

H 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <pb facs="#f0127" n="117"/>
        <lg n="2">
          <l>Doch denke einen Gott, und &#x017F;chnell wirds</l><lb/>
          <l>um dich helle &#x2014;</l><lb/>
          <l>Und deine Seele &#x017F;chwingt &#x017F;ich ma&#x0364;chtig him¬</l><lb/>
          <l>melan. &#x2014;</l><lb/>
        </lg>
      </lg>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <p>Durch die Empfindungen, welche wa&#x0364;hrend<lb/>
der Zeit, daß er diß Gedicht verfertigte, in ihm<lb/>
abwech&#x017F;elten, war wirklich &#x017F;eine ganze Seele er¬<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;ttert &#x2014; er bebte vor dem &#x017F;chrecklichen Ab¬<lb/>
grunde des blinden Ohngefa&#x0364;hrs, an de&#x017F;&#x017F;en Rande<lb/>
er &#x017F;chon &#x017F;tand, mit Schaudern und Ent&#x017F;etzen zuru&#x0364;ck,<lb/>
und &#x017F;chmiegte &#x017F;ich gleich&#x017F;am mit allen &#x017F;einen Gedan¬<lb/>
ken und Empfindungen in die tro&#x0364;&#x017F;tende Idee von<lb/>
dem Da&#x017F;eyn eines alles regierenden und lenken¬<lb/>
den gu&#x0364;tigen We&#x017F;ens hinein &#x2014;</p><lb/>
      <p>Da nun diß Gedicht auch &#x017F;eines Freundes vo&#x0364;<lb/>
ligen Beifall fand, &#x017F;o lernte es auswendig, und<lb/>
den na&#x0364;ch&#x017F;ten Tag in der Woche, da Deklama¬<lb/>
tionsu&#x0364;bung war, nahm er &#x017F;ich vor, es zu dekla¬<lb/>
miren. &#x2014; Er er&#x017F;chien hierbei mit &#x017F;einem neuan¬<lb/>
ge&#x017F;chaften Kleide, das &#x017F;ich ziemlich gut ausnahm,<lb/>
und das er&#x017F;te feine Kleid war, welches er in &#x017F;ei¬<lb/>
nem Leben trug &#x2014; das war ein nicht unbedeu¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 3<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] Doch denke einen Gott, und ſchnell wirds um dich helle — Und deine Seele ſchwingt ſich maͤchtig him¬ melan. — Durch die Empfindungen, welche waͤhrend der Zeit, daß er diß Gedicht verfertigte, in ihm abwechſelten, war wirklich ſeine ganze Seele er¬ ſchuͤttert — er bebte vor dem ſchrecklichen Ab¬ grunde des blinden Ohngefaͤhrs, an deſſen Rande er ſchon ſtand, mit Schaudern und Entſetzen zuruͤck, und ſchmiegte ſich gleichſam mit allen ſeinen Gedan¬ ken und Empfindungen in die troͤſtende Idee von dem Daſeyn eines alles regierenden und lenken¬ den guͤtigen Weſens hinein — Da nun diß Gedicht auch ſeines Freundes voͤl¬ ligen Beifall fand, ſo lernte es auswendig, und den naͤchſten Tag in der Woche, da Deklama¬ tionsuͤbung war, nahm er ſich vor, es zu dekla¬ miren. — Er erſchien hierbei mit ſeinem neuan¬ geſchaften Kleide, das ſich ziemlich gut ausnahm, und das erſte feine Kleid war, welches er in ſei¬ nem Leben trug — das war ein nicht unbedeu¬ H 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/127
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/127>, abgerufen am 23.11.2024.