vorgebracht, das weder eigentliche Spekula¬ tion noch Poesie, sondern ein verunglücktes Mit¬ telding von beiden war.
Da nun eine Zeitlang regnigtes Wetter ein¬ fiel, so wich Reiser dennoch nicht von seiner ein¬ samen poetischen Lebensart ab.
Er schloß sich in seine Kammer ein, wo er ein altes baufälliges Klavier, für sich selbst, so gut er konnte, wieder zurecht brachte, und es mit vieler Mühe stimmte -- Bei diesem Klaviere saß er nun den ganzen Tag, und lernte, da er die Noten kannte, fast alle Arien aus der Jagd, aus dem Tod Abels u.s.w. für sich selber singen und spielen -- dazwischen laß er den Tom Jons von Fielding, und Hallers Gedichte ver¬ schiedenemal durch, und brachte einige Wochen in dieser Einsamkeit fast eben so vergnügt zu, als die, wo er in seinem vorigen Logis auf dem Bo¬ den Philosophie studirte. -- Hallers Gedichte konnte er beinahe auswendig.
Hier besuchte ihn Philipp Reiser einmal ei¬ nes Nachmittags und gab ihm den Auftrag, eine Chorarie zu verfertigen, die er alsdann in Musik setzen wolle. -- Diß war für Anton Reisern ein
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vorgebracht, das weder eigentliche Spekula¬ tion noch Poeſie, ſondern ein verungluͤcktes Mit¬ telding von beiden war.
Da nun eine Zeitlang regnigtes Wetter ein¬ fiel, ſo wich Reiſer dennoch nicht von ſeiner ein¬ ſamen poetiſchen Lebensart ab.
Er ſchloß ſich in ſeine Kammer ein, wo er ein altes baufaͤlliges Klavier, fuͤr ſich ſelbſt, ſo gut er konnte, wieder zurecht brachte, und es mit vieler Muͤhe ſtimmte — Bei dieſem Klaviere ſaß er nun den ganzen Tag, und lernte, da er die Noten kannte, faſt alle Arien aus der Jagd, aus dem Tod Abels u.ſ.w. fuͤr ſich ſelber ſingen und ſpielen — dazwiſchen laß er den Tom Jons von Fielding, und Hallers Gedichte ver¬ ſchiedenemal durch, und brachte einige Wochen in dieſer Einſamkeit faſt eben ſo vergnuͤgt zu, als die, wo er in ſeinem vorigen Logis auf dem Bo¬ den Philoſophie ſtudirte. — Hallers Gedichte konnte er beinahe auswendig.
Hier beſuchte ihn Philipp Reiſer einmal ei¬ nes Nachmittags und gab ihm den Auftrag, eine Chorarie zu verfertigen, die er alsdann in Muſik ſetzen wolle. — Diß war fuͤr Anton Reiſern ein
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vorgebracht, das weder eigentliche Spekula¬
tion noch Poeſie, ſondern ein verungluͤcktes Mit¬
telding von beiden war.
Da nun eine Zeitlang regnigtes Wetter ein¬
fiel, ſo wich Reiſer dennoch nicht von ſeiner ein¬
ſamen poetiſchen Lebensart ab.
Er ſchloß ſich in ſeine Kammer ein, wo er
ein altes baufaͤlliges Klavier, fuͤr ſich ſelbſt, ſo gut
er konnte, wieder zurecht brachte, und es mit
vieler Muͤhe ſtimmte — Bei dieſem Klaviere
ſaß er nun den ganzen Tag, und lernte, da er
die Noten kannte, faſt alle Arien aus der Jagd,
aus dem Tod Abels u.ſ.w. fuͤr ſich ſelber ſingen
und ſpielen — dazwiſchen laß er den Tom Jons
von Fielding, und Hallers Gedichte ver¬
ſchiedenemal durch, und brachte einige Wochen
in dieſer Einſamkeit faſt eben ſo vergnuͤgt zu, als
die, wo er in ſeinem vorigen Logis auf dem Bo¬
den Philoſophie ſtudirte. — Hallers Gedichte
konnte er beinahe auswendig.
Hier beſuchte ihn Philipp Reiſer einmal ei¬
nes Nachmittags und gab ihm den Auftrag, eine
Chorarie zu verfertigen, die er alsdann in Muſik
ſetzen wolle. — Diß war fuͤr Anton Reiſern ein
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/115>, abgerufen am 22.07.2024.
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