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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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nun an, ausschweifend zu werden -- er vergöt¬
terte diese Menschen in seinen Gedanken, und
würde es schon für eine große Glückseligkeit ge¬
halten haben ,nur einmal ihres Anblicks zu genießen
-- Nun lebte Hölty damals in H..., und ein
Bruder desselben war Reisers Mitschüler -- und
hätte ihn leicht mit dem Dichter bekannt machen
können -- Aber so weit ging damals noch Rei¬
sers Selbstverkennung, daß er es nicht einmal
wagte, Höltys Bruder diesen Wunsch zu ent¬
decken, und sich selbst mit einer Art von bitterm
Trotz diß ihm so naheliegende und so sehr ge¬
wünschte Glück versagte -- indes suchte er jede
Gelegenheit auf, mit Höltys Bruder zu sprechen,
und jede Kleinigkeit, welche dieser ihm von dem
Dichter erzählte, war ihm wichtig -- und wie
oft beneidete er diesen jungen Menschen, daß er
der Bruder desjenigen war, welchen Reiser fast
unter die Wesen höherer Art zählte; daß er mit
ihm vertraulich umgehn, ihn so oft er wollte
sprechen, und ihn du nennen konnte.

Diese ausschweifende Ehrfurcht gegen Dich¬
ter und Schriftsteller nahm nachher mehr zu als
ab; er konnte sich kein größeres Glück denken,

nun an, ausſchweifend zu werden — er vergoͤt¬
terte dieſe Menſchen in ſeinen Gedanken, und
wuͤrde es ſchon fuͤr eine große Gluͤckſeligkeit ge¬
halten haben ,nur einmal ihres Anblicks zu genießen
— Nun lebte Hoͤlty damals in H..., und ein
Bruder deſſelben war Reiſers Mitſchuͤler — und
haͤtte ihn leicht mit dem Dichter bekannt machen
koͤnnen — Aber ſo weit ging damals noch Rei¬
ſers Selbſtverkennung, daß er es nicht einmal
wagte, Hoͤltys Bruder dieſen Wunſch zu ent¬
decken, und ſich ſelbſt mit einer Art von bitterm
Trotz diß ihm ſo naheliegende und ſo ſehr ge¬
wuͤnſchte Gluͤck verſagte — indes ſuchte er jede
Gelegenheit auf, mit Hoͤltys Bruder zu ſprechen,
und jede Kleinigkeit, welche dieſer ihm von dem
Dichter erzaͤhlte, war ihm wichtig — und wie
oft beneidete er dieſen jungen Menſchen, daß er
der Bruder desjenigen war, welchen Reiſer faſt
unter die Weſen hoͤherer Art zaͤhlte; daß er mit
ihm vertraulich umgehn, ihn ſo oft er wollte
ſprechen, und ihn du nennen konnte.

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[100/0110] nun an, ausſchweifend zu werden — er vergoͤt¬ terte dieſe Menſchen in ſeinen Gedanken, und wuͤrde es ſchon fuͤr eine große Gluͤckſeligkeit ge¬ halten haben ,nur einmal ihres Anblicks zu genießen — Nun lebte Hoͤlty damals in H..., und ein Bruder deſſelben war Reiſers Mitſchuͤler — und haͤtte ihn leicht mit dem Dichter bekannt machen koͤnnen — Aber ſo weit ging damals noch Rei¬ ſers Selbſtverkennung, daß er es nicht einmal wagte, Hoͤltys Bruder dieſen Wunſch zu ent¬ decken, und ſich ſelbſt mit einer Art von bitterm Trotz diß ihm ſo naheliegende und ſo ſehr ge¬ wuͤnſchte Gluͤck verſagte — indes ſuchte er jede Gelegenheit auf, mit Hoͤltys Bruder zu ſprechen, und jede Kleinigkeit, welche dieſer ihm von dem Dichter erzaͤhlte, war ihm wichtig — und wie oft beneidete er dieſen jungen Menſchen, daß er der Bruder desjenigen war, welchen Reiſer faſt unter die Weſen hoͤherer Art zaͤhlte; daß er mit ihm vertraulich umgehn, ihn ſo oft er wollte ſprechen, und ihn du nennen konnte. Dieſe ausſchweifende Ehrfurcht gegen Dich¬ ter und Schriftſteller nahm nachher mehr zu als ab; er konnte ſich kein groͤßeres Gluͤck denken,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/110>, abgerufen am 27.11.2024.