Welt ist, an die wir so oft als an eine bloß idea¬ lische Sache denken. --
Es fällt einem ein, daß man sich bei der Lek¬ türe von Romanen immer wunderbarere Vor¬ stellungen von den Gegenden und Oertern ge¬ macht hat, je weiter man sie sich entfernt dachte. Und nun denkt man sich, mit allen großen und kleinen Gegenständen, die einen jetzt umgeben, z. B. in Vorstellung eines Einwohners von Pecking -- dem diß alles nun eben so fremd, so wunderbar däuchten müßte -- und die uns umge¬ bende wirkliche Welt bekommt durch diese Idee einen ungewohnten Schimmer, der sie uns eben so fremd und wunderbar darstellt, als ob wir in dem Augenblick tausend Meilen gereist wären, um diesen Anblick zu haben. -- Das Gefühl der Ausdehnung und Einschränkung unsers We¬ sens drängt sich in einen Moment zusammen, und aus der vermischten Empfindung, welche dadurch erzeugt wird, entsteht eben die sonder¬ bare Art von Wehmuth, die sich unserer in sol¬ chen Augenblicken bemächtigt. --
Reiser fing schon damals an, über dergleichen Erscheinungen bei sich selber nachzudenken, und
Welt iſt, an die wir ſo oft als an eine bloß idea¬ liſche Sache denken. —
Es faͤllt einem ein, daß man ſich bei der Lek¬ tuͤre von Romanen immer wunderbarere Vor¬ ſtellungen von den Gegenden und Oertern ge¬ macht hat, je weiter man ſie ſich entfernt dachte. Und nun denkt man ſich, mit allen großen und kleinen Gegenſtaͤnden, die einen jetzt umgeben, z. B. in Vorſtellung eines Einwohners von Pecking — dem diß alles nun eben ſo fremd, ſo wunderbar daͤuchten muͤßte — und die uns umge¬ bende wirkliche Welt bekommt durch dieſe Idee einen ungewohnten Schimmer, der ſie uns eben ſo fremd und wunderbar darſtellt, als ob wir in dem Augenblick tauſend Meilen gereiſt waͤren, um dieſen Anblick zu haben. — Das Gefuͤhl der Ausdehnung und Einſchraͤnkung unſers We¬ ſens draͤngt ſich in einen Moment zuſammen, und aus der vermiſchten Empfindung, welche dadurch erzeugt wird, entſteht eben die ſonder¬ bare Art von Wehmuth, die ſich unſerer in ſol¬ chen Augenblicken bemaͤchtigt. —
Reiſer fing ſchon damals an, uͤber dergleichen Erſcheinungen bei ſich ſelber nachzudenken, und
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Welt iſt, an die wir ſo oft als an eine bloß idea¬
liſche Sache denken. —
Es faͤllt einem ein, daß man ſich bei der Lek¬
tuͤre von Romanen immer wunderbarere Vor¬
ſtellungen von den Gegenden und Oertern ge¬
macht hat, je weiter man ſie ſich entfernt dachte.
Und nun denkt man ſich, mit allen großen und
kleinen Gegenſtaͤnden, die einen jetzt umgeben,
z. B. in Vorſtellung eines Einwohners von
Pecking — dem diß alles nun eben ſo fremd, ſo
wunderbar daͤuchten muͤßte — und die uns umge¬
bende wirkliche Welt bekommt durch dieſe Idee
einen ungewohnten Schimmer, der ſie uns eben
ſo fremd und wunderbar darſtellt, als ob wir in
dem Augenblick tauſend Meilen gereiſt waͤren,
um dieſen Anblick zu haben. — Das Gefuͤhl der
Ausdehnung und Einſchraͤnkung unſers We¬
ſens draͤngt ſich in einen Moment zuſammen,
und aus der vermiſchten Empfindung, welche
dadurch erzeugt wird, entſteht eben die ſonder¬
bare Art von Wehmuth, die ſich unſerer in ſol¬
chen Augenblicken bemaͤchtigt. —
Reiſer fing ſchon damals an, uͤber dergleichen
Erſcheinungen bei ſich ſelber nachzudenken, und
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/100>, abgerufen am 16.02.2025.
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