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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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dern sich für ein Wesen hielt, auf das weiter gar
keine Rücksicht genommen wurde. -- Die
Scham ist ein so heftiger Affeckt, wie irgend
einer, und es ist zu verwundern, daß die Folgen
desselben nicht zuweilen tödlich sind.

Die Furcht, in einem lächerlichen Lichte zu
erscheinen war bei Reisern zuweilen so entsetz¬
lich, daß er alles, selbst sein Leben, würde auf¬
geopfert haben, um dieß zu vermeiden. -- Nie¬
mand hat das

Infelix paupertas, quia ridiculos mise¬
ros facit,
Traurig ist das Loos der Armuth, weil
sie die Unglücklichen lächerlich macht,
wohl stärker empfunden, als er, dem lächerlich zu
werden, das größte Unglück auf der Welt dünk¬
te. -- Es giebt eine Art des Lächerlichen, welche
ihm noch am erträglichsten war. -- Wenn
nehmlich Leute bloß der Sonderbarkeit wegen
über etwas lachen, daß sie sich selbst nicht nach¬
zuthun getrauen, ohne es deswegen in einem ver¬
ächtlichen Lichte zu betrachten.

Wenn er z. B. etwa von sich sagen hörte der
Reiser ist doch ein sonderbarer Mensch, er geht

dern ſich fuͤr ein Weſen hielt, auf das weiter gar
keine Ruͤckſicht genommen wurde. — Die
Scham iſt ein ſo heftiger Affeckt, wie irgend
einer, und es iſt zu verwundern, daß die Folgen
deſſelben nicht zuweilen toͤdlich ſind.

Die Furcht, in einem laͤcherlichen Lichte zu
erſcheinen war bei Reiſern zuweilen ſo entſetz¬
lich, daß er alles, ſelbſt ſein Leben, wuͤrde auf¬
geopfert haben, um dieß zu vermeiden. — Nie¬
mand hat das

Infelix paupertas, quia ridiculos miſe¬
ros facit,
Traurig iſt das Loos der Armuth, weil
ſie die Ungluͤcklichen laͤcherlich macht,
wohl ſtaͤrker empfunden, als er, dem laͤcherlich zu
werden, das groͤßte Ungluͤck auf der Welt duͤnk¬
te. — Es giebt eine Art des Laͤcherlichen, welche
ihm noch am ertraͤglichſten war. — Wenn
nehmlich Leute bloß der Sonderbarkeit wegen
uͤber etwas lachen, daß ſie ſich ſelbſt nicht nach¬
zuthun getrauen, ohne es deswegen in einem ver¬
aͤchtlichen Lichte zu betrachten.

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[80/0090] dern ſich fuͤr ein Weſen hielt, auf das weiter gar keine Ruͤckſicht genommen wurde. — Die Scham iſt ein ſo heftiger Affeckt, wie irgend einer, und es iſt zu verwundern, daß die Folgen deſſelben nicht zuweilen toͤdlich ſind. Die Furcht, in einem laͤcherlichen Lichte zu erſcheinen war bei Reiſern zuweilen ſo entſetz¬ lich, daß er alles, ſelbſt ſein Leben, wuͤrde auf¬ geopfert haben, um dieß zu vermeiden. — Nie¬ mand hat das Infelix paupertas, quia ridiculos miſe¬ ros facit, Traurig iſt das Loos der Armuth, weil ſie die Ungluͤcklichen laͤcherlich macht, wohl ſtaͤrker empfunden, als er, dem laͤcherlich zu werden, das groͤßte Ungluͤck auf der Welt duͤnk¬ te. — Es giebt eine Art des Laͤcherlichen, welche ihm noch am ertraͤglichſten war. — Wenn nehmlich Leute bloß der Sonderbarkeit wegen uͤber etwas lachen, daß ſie ſich ſelbſt nicht nach¬ zuthun getrauen, ohne es deswegen in einem ver¬ aͤchtlichen Lichte zu betrachten. Wenn er z. B. etwa von ſich ſagen hoͤrte der Reiſer iſt doch ein ſonderbarer Menſch, er geht

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/90>, abgerufen am 25.11.2024.