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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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stand der Beschämung, worin ihn oft eine Klei¬
nigkeit vesetzen konnte. -- Alles andere griff nicht
so sein innerstes Wesen, sein eigentliches Selbst
an, als grade dieß. In Ansehung dieser Art
des Leidens hat er auch das stärkste Mitleid em¬
pfunden. Um jemanden eine Beschämung zu er¬
sparen, würde er mehr gethan haben, als um je¬
manden aus würklichem Unglück retten: denn
die Beschämung däuchte ihm das größte Unglück,
was einem wiederfahren kann.

Er war einmal bei einein Kaufmann in H. . .
der gemeiniglich statt der Person mit der er
sprach einen andern anzusehen pflegte. Dieser
bat, indem er Reisern ansahe, einen andern der
mit in der Stube war, zum Essen, und da Rei¬
ser die Einladung auf sich deutete, und sie höf¬
lich ablehnte, so sagte der Kaufmann mit sehr
trockner Mine: ich meine, ihn ja nicht! -- dieß
ich meine ihn ja nicht! mit der troknen Mine
that eine solche Wirkung auf Reisern, daß er
glaubte in die Erde sinken zu müssen; dieß ich
meine ihn ja nicht
! verfolgte ihn nachher wo
er ging und stund, und machte seine Stimme,
gebrochen und zitternd, wenn er mit Vorneh¬

ſtand der Beſchaͤmung, worin ihn oft eine Klei¬
nigkeit veſetzen konnte. — Alles andere griff nicht
ſo ſein innerſtes Weſen, ſein eigentliches Selbſt
an, als grade dieß. In Anſehung dieſer Art
des Leidens hat er auch das ſtaͤrkſte Mitleid em¬
pfunden. Um jemanden eine Beſchaͤmung zu er¬
ſparen, wuͤrde er mehr gethan haben, als um je¬
manden aus wuͤrklichem Ungluͤck retten: denn
die Beſchaͤmung daͤuchte ihm das groͤßte Ungluͤck,
was einem wiederfahren kann.

Er war einmal bei einein Kaufmann in H. . .
der gemeiniglich ſtatt der Perſon mit der er
ſprach einen andern anzuſehen pflegte. Dieſer
bat, indem er Reiſern anſahe, einen andern der
mit in der Stube war, zum Eſſen, und da Rei¬
ſer die Einladung auf ſich deutete, und ſie hoͤf¬
lich ablehnte, ſo ſagte der Kaufmann mit ſehr
trockner Mine: ich meine, ihn ja nicht! — dieß
ich meine ihn ja nicht! mit der troknen Mine
that eine ſolche Wirkung auf Reiſern, daß er
glaubte in die Erde ſinken zu muͤſſen; dieß ich
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! verfolgte ihn nachher wo
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[78/0088] ſtand der Beſchaͤmung, worin ihn oft eine Klei¬ nigkeit veſetzen konnte. — Alles andere griff nicht ſo ſein innerſtes Weſen, ſein eigentliches Selbſt an, als grade dieß. In Anſehung dieſer Art des Leidens hat er auch das ſtaͤrkſte Mitleid em¬ pfunden. Um jemanden eine Beſchaͤmung zu er¬ ſparen, wuͤrde er mehr gethan haben, als um je¬ manden aus wuͤrklichem Ungluͤck retten: denn die Beſchaͤmung daͤuchte ihm das groͤßte Ungluͤck, was einem wiederfahren kann. Er war einmal bei einein Kaufmann in H. . . der gemeiniglich ſtatt der Perſon mit der er ſprach einen andern anzuſehen pflegte. Dieſer bat, indem er Reiſern anſahe, einen andern der mit in der Stube war, zum Eſſen, und da Rei¬ ſer die Einladung auf ſich deutete, und ſie hoͤf¬ lich ablehnte, ſo ſagte der Kaufmann mit ſehr trockner Mine: ich meine, ihn ja nicht! — dieß ich meine ihn ja nicht! mit der troknen Mine that eine ſolche Wirkung auf Reiſern, daß er glaubte in die Erde ſinken zu muͤſſen; dieß ich meine ihn ja nicht! verfolgte ihn nachher wo er ging und ſtund, und machte ſeine Stimme, gebrochen und zitternd, wenn er mit Vorneh¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/88>, abgerufen am 22.11.2024.