te, wie sehr er ihn liebte. -- Wer ihm das beim ersten Anblick gesagt hätte, dem würde er es nicht geglaubt haben, daß der Kantor einmal so sehr sein Freund sein würde. Denn der Konrektor war erstlich sein Mann; dessen lächelude freund¬ liche Miene, und glatte Stirne nahmen ihn ein, indes die finstre Miene des Kantors und seine run¬ zelvolle Stirn ihn zurückscheuchten. Ach, was für ein artiger freundlicher Mann ist der Konrek¬ tor gegen den alten mürrischen Kantor! pflegte er im Anfang oft zu sagen: aber bei der genauern Bekanntschaft wandte sich das Blatt gar bald um.
Reiser suchte sich auch auf alle Weise in der Achtung des Kantors immer fester zu setzen. Diß ging so weit, daß er auf einem öffentlichen Spa¬ tzierplatze, wo der Kantor hinzukommen pflegte, mit einem aufgeschlagenen Buche in der Hand auf und nieder ging, um die Blicke seines Lehrers auf sich zu ziehen, der ihn nun für ein Muster des Fleisses halten sollte, weil er sogar beim Spa¬ tziergehen studierte. -- Ob nun Reiser gleich an dem Buche, das er laß, wirklich Vergnügen fand,
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te, wie ſehr er ihn liebte. — Wer ihm das beim erſten Anblick geſagt haͤtte, dem wuͤrde er es nicht geglaubt haben, daß der Kantor einmal ſo ſehr ſein Freund ſein wuͤrde. Denn der Konrektor war erſtlich ſein Mann; deſſen laͤchelude freund¬ liche Miene, und glatte Stirne nahmen ihn ein, indes die finſtre Miene des Kantors und ſeine run¬ zelvolle Stirn ihn zuruͤckſcheuchten. Ach, was fuͤr ein artiger freundlicher Mann iſt der Konrek¬ tor gegen den alten muͤrriſchen Kantor! pflegte er im Anfang oft zu ſagen: aber bei der genauern Bekanntſchaft wandte ſich das Blatt gar bald um.
Reiſer ſuchte ſich auch auf alle Weiſe in der Achtung des Kantors immer feſter zu ſetzen. Diß ging ſo weit, daß er auf einem oͤffentlichen Spa¬ tzierplatze, wo der Kantor hinzukommen pflegte, mit einem aufgeſchlagenen Buche in der Hand auf und nieder ging, um die Blicke ſeines Lehrers auf ſich zu ziehen, der ihn nun fuͤr ein Muſter des Fleiſſes halten ſollte, weil er ſogar beim Spa¬ tziergehen ſtudierte. — Ob nun Reiſer gleich an dem Buche, das er laß, wirklich Vergnuͤgen fand,
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te, wie ſehr er ihn liebte. — Wer ihm das beim
erſten Anblick geſagt haͤtte, dem wuͤrde er es nicht
geglaubt haben, daß der Kantor einmal ſo ſehr
ſein Freund ſein wuͤrde. Denn der Konrektor
war erſtlich ſein Mann; deſſen laͤchelude freund¬
liche Miene, und glatte Stirne nahmen ihn ein,
indes die finſtre Miene des Kantors und ſeine run¬
zelvolle Stirn ihn zuruͤckſcheuchten. Ach, was
fuͤr ein artiger freundlicher Mann iſt der Konrek¬
tor gegen den alten muͤrriſchen Kantor! pflegte
er im Anfang oft zu ſagen: aber bei der genauern
Bekanntſchaft wandte ſich das Blatt gar bald
um.
Reiſer ſuchte ſich auch auf alle Weiſe in der
Achtung des Kantors immer feſter zu ſetzen. Diß
ging ſo weit, daß er auf einem oͤffentlichen Spa¬
tzierplatze, wo der Kantor hinzukommen pflegte,
mit einem aufgeſchlagenen Buche in der Hand auf
und nieder ging, um die Blicke ſeines Lehrers
auf ſich zu ziehen, der ihn nun fuͤr ein Muſter
des Fleiſſes halten ſollte, weil er ſogar beim Spa¬
tziergehen ſtudierte. — Ob nun Reiſer gleich an
dem Buche, das er laß, wirklich Vergnuͤgen fand,
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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