Man sieht aber auch hieraus, wie nahe da¬ mals sein Zustand an Raserei gränzte -- und doch war seine Gemüthslage wieder erträglich, sobald er sich nur erst wieder für seine Kirsch und Pflaumensteine interessiren konnte -- ehe er aber auch das konnte; wenn er sich hinsetzte und mit der Feder züge aufs Papier mahlte oder mit dem Messer auf dem Tisch kritzelte -- das waren die schrecklichsten Momente, wo sein Daseyn wie eine unerträgliche Last auf ihm lag, wo es ihm nicht Schmerz und Traurigkeit, sondern Ver¬ druß verursachte--wo er es oft mit einem fürchter¬ lichen Schauder, der ihn antrat, von sich abzu¬ schütteln suchte. --
Seine Freundschaft mit Philipp Reisern konnte ihm damals nicht zu statten kommen, weil es jenem nicht viel besser ging -- und so wie zwei Wandrer, die zusammen in einer brennenden Wüste in Gefahr vor Durst zu verschmachten sind, indem sie forteilen, eben nicht im Stande sind viel zu reden, und sich wechselsweise Trost einzuspre¬ chen, so war dieß auch jetzt der Fall zwischen An¬ ton Reisern und Philipp Reisern.
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Man ſieht aber auch hieraus, wie nahe da¬ mals ſein Zuſtand an Raſerei graͤnzte — und doch war ſeine Gemuͤthslage wieder ertraͤglich, ſobald er ſich nur erſt wieder fuͤr ſeine Kirſch und Pflaumenſteine intereſſiren konnte — ehe er aber auch das konnte; wenn er ſich hinſetzte und mit der Feder zuͤge aufs Papier mahlte oder mit dem Meſſer auf dem Tiſch kritzelte — das waren die ſchrecklichſten Momente, wo ſein Daſeyn wie eine unertraͤgliche Laſt auf ihm lag, wo es ihm nicht Schmerz und Traurigkeit, ſondern Ver¬ druß verurſachte—wo er es oft mit einem fuͤrchter¬ lichen Schauder, der ihn antrat, von ſich abzu¬ ſchuͤtteln ſuchte. —
Seine Freundſchaft mit Philipp Reiſern konnte ihm damals nicht zu ſtatten kommen, weil es jenem nicht viel beſſer ging — und ſo wie zwei Wandrer, die zuſammen in einer brennenden Wuͤſte in Gefahr vor Durſt zu verſchmachten ſind, indem ſie forteilen, eben nicht im Stande ſind viel zu reden, und ſich wechſelsweiſe Troſt einzuſpre¬ chen, ſo war dieß auch jetzt der Fall zwiſchen An¬ ton Reiſern und Philipp Reiſern.
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Man ſieht aber auch hieraus, wie nahe da¬
mals ſein Zuſtand an Raſerei graͤnzte — und
doch war ſeine Gemuͤthslage wieder ertraͤglich,
ſobald er ſich nur erſt wieder fuͤr ſeine Kirſch und
Pflaumenſteine intereſſiren konnte — ehe er aber
auch das konnte; wenn er ſich hinſetzte und mit der
Feder zuͤge aufs Papier mahlte oder mit dem
Meſſer auf dem Tiſch kritzelte — das waren
die ſchrecklichſten Momente, wo ſein Daſeyn wie
eine unertraͤgliche Laſt auf ihm lag, wo es ihm
nicht Schmerz und Traurigkeit, ſondern Ver¬
druß verurſachte—wo er es oft mit einem fuͤrchter¬
lichen Schauder, der ihn antrat, von ſich abzu¬
ſchuͤtteln ſuchte. —
Seine Freundſchaft mit Philipp Reiſern
konnte ihm damals nicht zu ſtatten kommen, weil
es jenem nicht viel beſſer ging — und ſo wie zwei
Wandrer, die zuſammen in einer brennenden
Wuͤſte in Gefahr vor Durſt zu verſchmachten ſind,
indem ſie forteilen, eben nicht im Stande ſind viel
zu reden, und ſich wechſelsweiſe Troſt einzuſpre¬
chen, ſo war dieß auch jetzt der Fall zwiſchen An¬
ton Reiſern und Philipp Reiſern.
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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