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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Schuster S..., und dem warmen Wasser das
er trank, war es nun, womit er sich hinhielt.

Wenn nun sein Körper einige Nahrung er¬
halten hatte, so fühlte er ordentlich zuweilen
wieder etwas Muth in sich -- Er hatte noch
einen alten Virgil, den ihm der Bücheranti¬
quarius nicht hatte abkaufen wollen; in diesem
fing er an die Eklogen zu lesen -- Aus einer Wo¬
chenschrift die Abendstunden die er sich von Phi¬
lipp Reisern geliehen hatte, fing er an ein Ge¬
dicht der Gottesleugner, das ihm vorzüg¬
lich gefiel, und einige prosaische Aufsätze aus¬
wendig zu lernen -- Aber mit dem bald wie¬
der fühlbaren Mangel an Nahrung erlosch auch
dieser aufglimmende Muth wieder, und dann
war die Thätigkeit seiner Seele wie gelähmt --
Um sich vor den Zustande des tödtlichen Aufhö¬
rens aller Wirksamkeit zu retten, mußte er zu
kindischen Spilen wieder seine Zuflucht neh¬
men, in so fern dieselben auf Zerstörung hinaus
liefen. --

Er machte sich nehmlich eine große Samm¬
lung von Kirsch- und Pflaumenkernen, setzte sich
damit auf den Boden, und stellte sie in Schlacht¬

Schuſter S..., und dem warmen Waſſer das
er trank, war es nun, womit er ſich hinhielt.

Wenn nun ſein Koͤrper einige Nahrung er¬
halten hatte, ſo fuͤhlte er ordentlich zuweilen
wieder etwas Muth in ſich — Er hatte noch
einen alten Virgil, den ihm der Buͤcheranti¬
quarius nicht hatte abkaufen wollen; in dieſem
fing er an die Eklogen zu leſen — Aus einer Wo¬
chenſchrift die Abendſtunden die er ſich von Phi¬
lipp Reiſern geliehen hatte, fing er an ein Ge¬
dicht der Gottesleugner, das ihm vorzuͤg¬
lich gefiel, und einige proſaiſche Aufſaͤtze aus¬
wendig zu lernen — Aber mit dem bald wie¬
der fuͤhlbaren Mangel an Nahrung erloſch auch
dieſer aufglimmende Muth wieder, und dann
war die Thaͤtigkeit ſeiner Seele wie gelaͤhmt —
Um ſich vor den Zuſtande des toͤdtlichen Aufhoͤ¬
rens aller Wirkſamkeit zu retten, mußte er zu
kindiſchen Spilen wieder ſeine Zuflucht neh¬
men, in ſo fern dieſelben auf Zerſtoͤrung hinaus
liefen. —

Er machte ſich nehmlich eine große Samm¬
lung von Kirſch- und Pflaumenkernen, ſetzte ſich
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[175/0185] Schuſter S..., und dem warmen Waſſer das er trank, war es nun, womit er ſich hinhielt. Wenn nun ſein Koͤrper einige Nahrung er¬ halten hatte, ſo fuͤhlte er ordentlich zuweilen wieder etwas Muth in ſich — Er hatte noch einen alten Virgil, den ihm der Buͤcheranti¬ quarius nicht hatte abkaufen wollen; in dieſem fing er an die Eklogen zu leſen — Aus einer Wo¬ chenſchrift die Abendſtunden die er ſich von Phi¬ lipp Reiſern geliehen hatte, fing er an ein Ge¬ dicht der Gottesleugner, das ihm vorzuͤg¬ lich gefiel, und einige proſaiſche Aufſaͤtze aus¬ wendig zu lernen — Aber mit dem bald wie¬ der fuͤhlbaren Mangel an Nahrung erloſch auch dieſer aufglimmende Muth wieder, und dann war die Thaͤtigkeit ſeiner Seele wie gelaͤhmt — Um ſich vor den Zuſtande des toͤdtlichen Aufhoͤ¬ rens aller Wirkſamkeit zu retten, mußte er zu kindiſchen Spilen wieder ſeine Zuflucht neh¬ men, in ſo fern dieſelben auf Zerſtoͤrung hinaus liefen. — Er machte ſich nehmlich eine große Samm¬ lung von Kirſch- und Pflaumenkernen, ſetzte ſich damit auf den Boden, und ſtellte ſie in Schlacht¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/185>, abgerufen am 25.11.2024.