Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

gänzlicher Verhärtung und Stillschweigen an --
und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬
mal eine Thräne mehr über sein Schicksal --
denn er war sich selbst so gleichgültig geworden,
und hatte so wenige Achtung gegen sich und Mit¬
leid mit sich selber übrig behalten, daß wenn seine
Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle
die Leidenschaften, wovon sein Herz überströmte,
nicht auf Personen aus einer erdichteten Welt
gefallen wären, sie nothwendig sich alle gegen ihn
selbst kehren, und sein eignes Wesen hätten zer¬
stören müssen.

Da ihm der Rektor das Logis aufgesagt hatte,
so zog er daraus die sichere Folge, daß nun
auch der Pastor M... sich nicht weiter um ihn
bekümmern würde, und so war es nun auf ein¬
mal mit allen seinen Aussichten und Hoffnungen
vorbei. --

Die paar Wochen, welche er noch bei dem
Rektor blieb, brachte er nach seiner gewöhnlichen
Weise zu -- dann zog er bei einem Bürstenbin¬
der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches
er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das
schrecklichste und fürchterlichste in seinem ganzen

L 4

gaͤnzlicher Verhaͤrtung und Stillſchweigen an —
und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬
mal eine Thraͤne mehr uͤber ſein Schickſal —
denn er war ſich ſelbſt ſo gleichguͤltig geworden,
und hatte ſo wenige Achtung gegen ſich und Mit¬
leid mit ſich ſelber uͤbrig behalten, daß wenn ſeine
Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle
die Leidenſchaften, wovon ſein Herz uͤberſtroͤmte,
nicht auf Perſonen aus einer erdichteten Welt
gefallen waͤren, ſie nothwendig ſich alle gegen ihn
ſelbſt kehren, und ſein eignes Weſen haͤtten zer¬
ſtoͤren muͤſſen.

Da ihm der Rektor das Logis aufgeſagt hatte,
ſo zog er daraus die ſichere Folge, daß nun
auch der Paſtor M... ſich nicht weiter um ihn
bekuͤmmern wuͤrde, und ſo war es nun auf ein¬
mal mit allen ſeinen Ausſichten und Hoffnungen
vorbei. —

Die paar Wochen, welche er noch bei dem
Rektor blieb, brachte er nach ſeiner gewoͤhnlichen
Weiſe zu — dann zog er bei einem Buͤrſtenbin¬
der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches
er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das
ſchrecklichſte und fuͤrchterlichſte in ſeinem ganzen

L 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0177" n="167"/>
ga&#x0364;nzlicher Verha&#x0364;rtung und Still&#x017F;chweigen an &#x2014;<lb/>
und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬<lb/>
mal eine Thra&#x0364;ne mehr u&#x0364;ber &#x017F;ein Schick&#x017F;al &#x2014;<lb/>
denn er war &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o gleichgu&#x0364;ltig geworden,<lb/>
und hatte &#x017F;o wenige Achtung gegen &#x017F;ich und Mit¬<lb/>
leid mit &#x017F;ich &#x017F;elber u&#x0364;brig behalten, daß wenn &#x017F;eine<lb/>
Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle<lb/>
die Leiden&#x017F;chaften, wovon &#x017F;ein Herz u&#x0364;ber&#x017F;tro&#x0364;mte,<lb/>
nicht auf Per&#x017F;onen aus einer erdichteten Welt<lb/>
gefallen wa&#x0364;ren, &#x017F;ie nothwendig &#x017F;ich alle gegen ihn<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t kehren, und &#x017F;ein eignes We&#x017F;en ha&#x0364;tten zer¬<lb/>
&#x017F;to&#x0364;ren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
      <p>Da ihm der Rektor das Logis aufge&#x017F;agt hatte,<lb/>
&#x017F;o zog er daraus die &#x017F;ichere Folge, daß nun<lb/>
auch der Pa&#x017F;tor M... &#x017F;ich nicht weiter um ihn<lb/>
beku&#x0364;mmern wu&#x0364;rde, und &#x017F;o war es nun auf ein¬<lb/>
mal mit allen &#x017F;einen Aus&#x017F;ichten und Hoffnungen<lb/>
vorbei. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Die paar Wochen, welche er noch bei dem<lb/>
Rektor blieb, brachte er nach &#x017F;einer gewo&#x0364;hnlichen<lb/>
Wei&#x017F;e zu &#x2014; <hi rendition="#g">dann</hi> zog er bei einem Bu&#x0364;r&#x017F;tenbin¬<lb/>
der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches<lb/>
er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das<lb/>
&#x017F;chrecklich&#x017F;te und fu&#x0364;rchterlich&#x017F;te in &#x017F;einem ganzen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 4<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] gaͤnzlicher Verhaͤrtung und Stillſchweigen an — und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬ mal eine Thraͤne mehr uͤber ſein Schickſal — denn er war ſich ſelbſt ſo gleichguͤltig geworden, und hatte ſo wenige Achtung gegen ſich und Mit¬ leid mit ſich ſelber uͤbrig behalten, daß wenn ſeine Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle die Leidenſchaften, wovon ſein Herz uͤberſtroͤmte, nicht auf Perſonen aus einer erdichteten Welt gefallen waͤren, ſie nothwendig ſich alle gegen ihn ſelbſt kehren, und ſein eignes Weſen haͤtten zer¬ ſtoͤren muͤſſen. Da ihm der Rektor das Logis aufgeſagt hatte, ſo zog er daraus die ſichere Folge, daß nun auch der Paſtor M... ſich nicht weiter um ihn bekuͤmmern wuͤrde, und ſo war es nun auf ein¬ mal mit allen ſeinen Ausſichten und Hoffnungen vorbei. — Die paar Wochen, welche er noch bei dem Rektor blieb, brachte er nach ſeiner gewoͤhnlichen Weiſe zu — dann zog er bei einem Buͤrſtenbin¬ der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das ſchrecklichſte und fuͤrchterlichſte in ſeinem ganzen L 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/177
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/177>, abgerufen am 22.11.2024.