Dogmatik und Logik; und bei dem Rektor die Erdbeschreibung, und einige Uebersetzungen latei¬ nischer Autoren, nach, wodurch er denn doch immer, neben seiner Komödien und Romanlek¬ türe, noch einige wissenschaftliche Kenntnisse auffing, und ohne es eigentlich mit Absicht zu treiben, auch im Lateinischen noch einige Fort¬ schritte machte. --
Das war aber alles nur, wie zufällig -- manche Stunde versäumte er dazwischen, und manche Stunde laß er, während daß der Livius oder ein ander lateinischer Autor gelesen wurde, für sich heimlich einen Roman, weil er doch ein¬ mal wußte, daß der Direktor ihn nicht mehr aufzurufen würdigte. --
Denn wenn er in den Schulstunden mitten unter einer Anzahl von sechs bis siebenzig Men¬ schen saß, von denen fast kein einziger sein Freund war, und denen er fast insgesammt ein Gegen¬ stand des Spottes und der Verachtung war, so mußte ihm dieß natürlicher Weise beständig eine sehr ängstliche Lage seyn, wo er sich am meisten gedrungrn fühlte, sich in eine andre Welt zu träumen, in der er sich besser befand. --
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Dogmatik und Logik; und bei dem Rektor die Erdbeſchreibung, und einige Ueberſetzungen latei¬ niſcher Autoren, nach, wodurch er denn doch immer, neben ſeiner Komoͤdien und Romanlek¬ tuͤre, noch einige wiſſenſchaftliche Kenntniſſe auffing, und ohne es eigentlich mit Abſicht zu treiben, auch im Lateiniſchen noch einige Fort¬ ſchritte machte. —
Das war aber alles nur, wie zufaͤllig — manche Stunde verſaͤumte er dazwiſchen, und manche Stunde laß er, waͤhrend daß der Livius oder ein ander lateiniſcher Autor geleſen wurde, fuͤr ſich heimlich einen Roman, weil er doch ein¬ mal wußte, daß der Direktor ihn nicht mehr aufzurufen wuͤrdigte. —
Denn wenn er in den Schulſtunden mitten unter einer Anzahl von ſechs bis ſiebenzig Men¬ ſchen ſaß, von denen faſt kein einziger ſein Freund war, und denen er faſt insgeſammt ein Gegen¬ ſtand des Spottes und der Verachtung war, ſo mußte ihm dieß natuͤrlicher Weiſe beſtaͤndig eine ſehr aͤngſtliche Lage ſeyn, wo er ſich am meiſten gedrungrn fuͤhlte, ſich in eine andre Welt zu traͤumen, in der er ſich beſſer befand. —
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Dogmatik und Logik; und bei dem Rektor die
Erdbeſchreibung, und einige Ueberſetzungen latei¬
niſcher Autoren, nach, wodurch er denn doch
immer, neben ſeiner Komoͤdien und Romanlek¬
tuͤre, noch einige wiſſenſchaftliche Kenntniſſe
auffing, und ohne es eigentlich mit Abſicht zu
treiben, auch im Lateiniſchen noch einige Fort¬
ſchritte machte. —
Das war aber alles nur, wie zufaͤllig —
manche Stunde verſaͤumte er dazwiſchen, und
manche Stunde laß er, waͤhrend daß der Livius
oder ein ander lateiniſcher Autor geleſen wurde,
fuͤr ſich heimlich einen Roman, weil er doch ein¬
mal wußte, daß der Direktor ihn nicht mehr
aufzurufen wuͤrdigte. —
Denn wenn er in den Schulſtunden mitten
unter einer Anzahl von ſechs bis ſiebenzig Men¬
ſchen ſaß, von denen faſt kein einziger ſein Freund
war, und denen er faſt insgeſammt ein Gegen¬
ſtand des Spottes und der Verachtung war, ſo
mußte ihm dieß natuͤrlicher Weiſe beſtaͤndig eine
ſehr aͤngſtliche Lage ſeyn, wo er ſich am meiſten
gedrungrn fuͤhlte, ſich in eine andre Welt zu
traͤumen, in der er ſich beſſer befand. —
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/157>, abgerufen am 15.08.2024.
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