Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Oben hing ein Schild mit einem Hute her¬
aus, woran der Name L. zu lesen war.

Ein altes Mütterchen, die Ausgeberin vom
Hause, eröffnete ihnen die Thür, und führte sie
zur rechten Hand in eine große Stube, die
mit dunkelbraun angestrichnen Brettern getäfelt
war, worauf man noch mit genauer Noth eine
halb verwischte Schilderung von den fünf Sin¬
nen entdecken konnte.

Hier empfing sie denn der Herr des Hauses.
Ein Mann von mittlern Jahren, mehr klein als
groß, mit einem noch ziemlich jugendlichen aber
dabei blassen und melancholischen Gesichte, das
sich selten in ein andres, als eine Art von bitter¬
süßen Lächeln verzog, dabei schwarzes Haar, ein
ziemlich schwärmerisches Auge, etwas feines und
delikates in seinen Reden, Bewegungen, und
Manieren, das man sonst bei Handwerksleuten
nicht findet, und eine reine aber äußerst lang¬
same, träge und schleppende Sprache, die die
Worte, wer weiß wie lang zog, besonders wenn
das Gespräch auf andächtige Materien fiel: auch
hatte er einen unerträglich intoleranten Blick,
wenn sich seine schwarzen Augenbraunen über

Oben hing ein Schild mit einem Hute her¬
aus, woran der Name L. zu leſen war.

Ein altes Muͤtterchen, die Ausgeberin vom
Hauſe, eroͤffnete ihnen die Thuͤr, und fuͤhrte ſie
zur rechten Hand in eine große Stube, die
mit dunkelbraun angeſtrichnen Brettern getaͤfelt
war, worauf man noch mit genauer Noth eine
halb verwiſchte Schilderung von den fuͤnf Sin¬
nen entdecken konnte.

Hier empfing ſie denn der Herr des Hauſes.
Ein Mann von mittlern Jahren, mehr klein als
groß, mit einem noch ziemlich jugendlichen aber
dabei blaſſen und melancholiſchen Geſichte, das
ſich ſelten in ein andres, als eine Art von bitter¬
ſuͤßen Laͤcheln verzog, dabei ſchwarzes Haar, ein
ziemlich ſchwaͤrmeriſches Auge, etwas feines und
delikates in ſeinen Reden, Bewegungen, und
Manieren, das man ſonſt bei Handwerksleuten
nicht findet, und eine reine aber aͤußerſt lang¬
ſame, traͤge und ſchleppende Sprache, die die
Worte, wer weiß wie lang zog, beſonders wenn
das Geſpraͤch auf andaͤchtige Materien fiel: auch
hatte er einen unertraͤglich intoleranten Blick,
wenn ſich ſeine ſchwarzen Augenbraunen uͤber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0092" n="82"/>
      <p>Oben hing ein Schild mit einem Hute her¬<lb/>
aus, woran der Name L. zu le&#x017F;en war.</p><lb/>
      <p>Ein altes Mu&#x0364;tterchen, die Ausgeberin vom<lb/>
Hau&#x017F;e, ero&#x0364;ffnete ihnen die Thu&#x0364;r, und fu&#x0364;hrte &#x017F;ie<lb/>
zur rechten Hand in eine große Stube, die<lb/>
mit dunkelbraun ange&#x017F;trichnen Brettern geta&#x0364;felt<lb/>
war, worauf man noch mit genauer Noth eine<lb/>
halb verwi&#x017F;chte Schilderung von den fu&#x0364;nf Sin¬<lb/>
nen entdecken konnte.</p><lb/>
      <p>Hier empfing &#x017F;ie denn der Herr des Hau&#x017F;es.<lb/>
Ein Mann von mittlern Jahren, mehr klein als<lb/>
groß, mit einem noch ziemlich jugendlichen aber<lb/>
dabei bla&#x017F;&#x017F;en und melancholi&#x017F;chen Ge&#x017F;ichte, das<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elten in ein andres, als eine Art von bitter¬<lb/>
&#x017F;u&#x0364;ßen La&#x0364;cheln verzog, dabei &#x017F;chwarzes Haar, ein<lb/>
ziemlich &#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;ches Auge, etwas feines und<lb/>
delikates in &#x017F;einen Reden, Bewegungen, und<lb/>
Manieren, das man &#x017F;on&#x017F;t bei Handwerksleuten<lb/>
nicht findet, und eine reine aber a&#x0364;ußer&#x017F;t lang¬<lb/>
&#x017F;ame, tra&#x0364;ge und &#x017F;chleppende Sprache, die die<lb/>
Worte, wer weiß wie lang zog, be&#x017F;onders wenn<lb/>
das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch auf anda&#x0364;chtige Materien fiel: auch<lb/>
hatte er einen unertra&#x0364;glich intoleranten Blick,<lb/>
wenn &#x017F;ich &#x017F;eine &#x017F;chwarzen Augenbraunen u&#x0364;ber<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0092] Oben hing ein Schild mit einem Hute her¬ aus, woran der Name L. zu leſen war. Ein altes Muͤtterchen, die Ausgeberin vom Hauſe, eroͤffnete ihnen die Thuͤr, und fuͤhrte ſie zur rechten Hand in eine große Stube, die mit dunkelbraun angeſtrichnen Brettern getaͤfelt war, worauf man noch mit genauer Noth eine halb verwiſchte Schilderung von den fuͤnf Sin¬ nen entdecken konnte. Hier empfing ſie denn der Herr des Hauſes. Ein Mann von mittlern Jahren, mehr klein als groß, mit einem noch ziemlich jugendlichen aber dabei blaſſen und melancholiſchen Geſichte, das ſich ſelten in ein andres, als eine Art von bitter¬ ſuͤßen Laͤcheln verzog, dabei ſchwarzes Haar, ein ziemlich ſchwaͤrmeriſches Auge, etwas feines und delikates in ſeinen Reden, Bewegungen, und Manieren, das man ſonſt bei Handwerksleuten nicht findet, und eine reine aber aͤußerſt lang¬ ſame, traͤge und ſchleppende Sprache, die die Worte, wer weiß wie lang zog, beſonders wenn das Geſpraͤch auf andaͤchtige Materien fiel: auch hatte er einen unertraͤglich intoleranten Blick, wenn ſich ſeine ſchwarzen Augenbraunen uͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/92
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/92>, abgerufen am 23.11.2024.