Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

daß der Eindruck, den sie auf Antons Herz
machten, bei ihm unauslöschlich geblieben ist.

Oft tröstete er sich in einsamen Stunden,
wo er sich von aller Welt verlassen glaubte,
durch ein solches Lied vom seligen Ausgehen aus
sich selber, und der süßen Vernichtung vor dem
Urquelle des Daseyns.

So gewährten ihm schon damals seine kin¬
dischen Vorstellungen oft eine Art von himmli¬
scher Beruhigung.

Einmal waren seine Eltern bei dem Wirth
des Hauses, wo sie wohnten, des Abends zu
einem kleinen Familienfeste gebeten. Anton
mußte es aus dem Fenster mit ansehen, wie die
Kinder der Nachbarn schön geputzt zu diesem
Feste kamen, indeß er allein auf der Stube zu¬
rückbleiben mußte, weil seine Eltern sich seines
schlechten Aufzuges schämten. Es wurde Abend,
und ihn fing an zu hungern; und nicht einmal
ein Stückchen Brod hatten ihm seine Eltern zu¬
rückgelassen.

Indeß er oben einsam saß und weinte, schallte
das fröhliche Getümmel von unten zu ihm her¬
auf. -- Verlassen von allem, fühlte er erst

daß der Eindruck, den ſie auf Antons Herz
machten, bei ihm unausloͤſchlich geblieben iſt.

Oft troͤſtete er ſich in einſamen Stunden,
wo er ſich von aller Welt verlaſſen glaubte,
durch ein ſolches Lied vom ſeligen Ausgehen aus
ſich ſelber, und der ſuͤßen Vernichtung vor dem
Urquelle des Daſeyns.

So gewaͤhrten ihm ſchon damals ſeine kin¬
diſchen Vorſtellungen oft eine Art von himmli¬
ſcher Beruhigung.

Einmal waren ſeine Eltern bei dem Wirth
des Hauſes, wo ſie wohnten, des Abends zu
einem kleinen Familienfeſte gebeten. Anton
mußte es aus dem Fenſter mit anſehen, wie die
Kinder der Nachbarn ſchoͤn geputzt zu dieſem
Feſte kamen, indeß er allein auf der Stube zu¬
ruͤckbleiben mußte, weil ſeine Eltern ſich ſeines
ſchlechten Aufzuges ſchaͤmten. Es wurde Abend,
und ihn fing an zu hungern; und nicht einmal
ein Stuͤckchen Brod hatten ihm ſeine Eltern zu¬
ruͤckgelaſſen.

Indeß er oben einſam ſaß und weinte, ſchallte
das froͤhliche Getuͤmmel von unten zu ihm her¬
auf. — Verlaſſen von allem, fuͤhlte er erſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0034" n="24"/>
daß der Eindruck, den &#x017F;ie auf Antons Herz<lb/>
machten, bei ihm unauslo&#x0364;&#x017F;chlich geblieben i&#x017F;t.</p><lb/>
      <p>Oft tro&#x0364;&#x017F;tete er &#x017F;ich in ein&#x017F;amen Stunden,<lb/>
wo er &#x017F;ich von aller Welt verla&#x017F;&#x017F;en glaubte,<lb/>
durch ein &#x017F;olches Lied vom &#x017F;eligen Ausgehen aus<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber, und der &#x017F;u&#x0364;ßen Vernichtung vor dem<lb/>
Urquelle des Da&#x017F;eyns.</p><lb/>
      <p>So gewa&#x0364;hrten ihm &#x017F;chon damals &#x017F;eine kin¬<lb/>
di&#x017F;chen Vor&#x017F;tellungen oft eine Art von himmli¬<lb/>
&#x017F;cher Beruhigung.</p><lb/>
      <p>Einmal waren &#x017F;eine Eltern bei dem Wirth<lb/>
des Hau&#x017F;es, wo &#x017F;ie wohnten, des Abends zu<lb/>
einem kleinen Familienfe&#x017F;te gebeten. Anton<lb/>
mußte es aus dem Fen&#x017F;ter mit an&#x017F;ehen, wie die<lb/>
Kinder der Nachbarn &#x017F;cho&#x0364;n geputzt zu die&#x017F;em<lb/>
Fe&#x017F;te kamen, indeß er allein auf der Stube zu¬<lb/>
ru&#x0364;ckbleiben mußte, weil &#x017F;eine Eltern &#x017F;ich &#x017F;eines<lb/>
&#x017F;chlechten Aufzuges &#x017F;cha&#x0364;mten. Es wurde Abend,<lb/>
und ihn fing an zu hungern; und nicht einmal<lb/>
ein Stu&#x0364;ckchen Brod hatten ihm &#x017F;eine Eltern zu¬<lb/>
ru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
      <p>Indeß er oben ein&#x017F;am &#x017F;aß und weinte, &#x017F;challte<lb/>
das fro&#x0364;hliche Getu&#x0364;mmel von unten zu ihm her¬<lb/>
auf. &#x2014; Verla&#x017F;&#x017F;en von allem, fu&#x0364;hlte er er&#x017F;t<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0034] daß der Eindruck, den ſie auf Antons Herz machten, bei ihm unausloͤſchlich geblieben iſt. Oft troͤſtete er ſich in einſamen Stunden, wo er ſich von aller Welt verlaſſen glaubte, durch ein ſolches Lied vom ſeligen Ausgehen aus ſich ſelber, und der ſuͤßen Vernichtung vor dem Urquelle des Daſeyns. So gewaͤhrten ihm ſchon damals ſeine kin¬ diſchen Vorſtellungen oft eine Art von himmli¬ ſcher Beruhigung. Einmal waren ſeine Eltern bei dem Wirth des Hauſes, wo ſie wohnten, des Abends zu einem kleinen Familienfeſte gebeten. Anton mußte es aus dem Fenſter mit anſehen, wie die Kinder der Nachbarn ſchoͤn geputzt zu dieſem Feſte kamen, indeß er allein auf der Stube zu¬ ruͤckbleiben mußte, weil ſeine Eltern ſich ſeines ſchlechten Aufzuges ſchaͤmten. Es wurde Abend, und ihn fing an zu hungern; und nicht einmal ein Stuͤckchen Brod hatten ihm ſeine Eltern zu¬ ruͤckgelaſſen. Indeß er oben einſam ſaß und weinte, ſchallte das froͤhliche Getuͤmmel von unten zu ihm her¬ auf. — Verlaſſen von allem, fuͤhlte er erſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/34
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/34>, abgerufen am 23.11.2024.