Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Muth darnieder, und seine Knie bebten, da er
vor ihm stand -- als ihn aber der Greis leutselig
bei der Hand faßte, und mit sanfter Stimme an¬
redete, fing er an, freimüthig zu sprechen, und
seine Neigung zum Studiren zu entdecken. --
Der K. G. ließ ihn darauf eine von Gellerts
geistlichen Oden laut lesen, um zu hören, wie
seine Ausrede und Stimme beschaffen sey, wenn
er sich dereinst dem Predigtamt widmen wollte --
Darauf versprach er, ihm freien Unterricht zu ver¬
schaffen, und ihn mit Büchern zu unterstützen;
das sey aber auch alles, was er für ihn thun
könne.-- Anton war so voller Freuden über dieses
Anerbieten, daß seine Dankbarkeit gar keine
Grenzen hatte, und er nun alle Berge auf einmal
überstiegen zu haben glaubte. Denn daß er aus¬
ser freiem Unterricht und Büchern auch noch
Nahrung, Wohnung und Kleider brauche, fiel ihm
gar nicht ein.

Triumphirend eilte er nach Hause, und ver¬
kündigte seinen Eltern sein Glück -- aber wie
sehr wurde seine Frende niedergeschlagen, da sein

Vater
M 5

Muth darnieder, und ſeine Knie bebten, da er
vor ihm ſtand — als ihn aber der Greis leutſelig
bei der Hand faßte, und mit ſanfter Stimme an¬
redete, fing er an, freimuͤthig zu ſprechen, und
ſeine Neigung zum Studiren zu entdecken. —
Der K. G. ließ ihn darauf eine von Gellerts
geiſtlichen Oden laut leſen, um zu hoͤren, wie
ſeine Ausrede und Stimme beſchaffen ſey, wenn
er ſich dereinſt dem Predigtamt widmen wollte —
Darauf verſprach er, ihm freien Unterricht zu ver¬
ſchaffen, und ihn mit Buͤchern zu unterſtuͤtzen;
das ſey aber auch alles, was er fuͤr ihn thun
koͤnne.— Anton war ſo voller Freuden uͤber dieſes
Anerbieten, daß ſeine Dankbarkeit gar keine
Grenzen hatte, und er nun alle Berge auf einmal
uͤberſtiegen zu haben glaubte. Denn daß er auſ¬
ſer freiem Unterricht und Buͤchern auch noch
Nahrung, Wohnung und Kleider brauche, fiel ihm
gar nicht ein.

Triumphirend eilte er nach Hauſe, und ver¬
kuͤndigte ſeinen Eltern ſein Gluͤck — aber wie
ſehr wurde ſeine Frende niedergeſchlagen, da ſein

Vater
M 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0195" n="185"/>
Muth darnieder, und &#x017F;eine Knie bebten, da er<lb/>
vor ihm &#x017F;tand &#x2014; als ihn aber der Greis leut&#x017F;elig<lb/>
bei der Hand faßte, und mit &#x017F;anfter Stimme an¬<lb/>
redete, fing er an, freimu&#x0364;thig zu &#x017F;prechen, und<lb/>
&#x017F;eine Neigung zum Studiren zu entdecken. &#x2014;<lb/>
Der K. G. ließ ihn darauf eine von Gellerts<lb/>
gei&#x017F;tlichen Oden laut le&#x017F;en, um zu ho&#x0364;ren, wie<lb/>
&#x017F;eine Ausrede und Stimme be&#x017F;chaffen &#x017F;ey, wenn<lb/>
er &#x017F;ich derein&#x017F;t dem Predigtamt widmen wollte &#x2014;<lb/>
Darauf ver&#x017F;prach er, ihm freien Unterricht zu ver¬<lb/>
&#x017F;chaffen, und ihn mit Bu&#x0364;chern zu unter&#x017F;tu&#x0364;tzen;<lb/>
das &#x017F;ey aber auch alles, was er fu&#x0364;r ihn thun<lb/>
ko&#x0364;nne.&#x2014; Anton war &#x017F;o voller Freuden u&#x0364;ber die&#x017F;es<lb/>
Anerbieten, daß &#x017F;eine Dankbarkeit gar keine<lb/>
Grenzen hatte, und er nun alle Berge auf einmal<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;tiegen zu haben glaubte. Denn daß er au&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er freiem Unterricht und Bu&#x0364;chern auch noch<lb/>
Nahrung, Wohnung und Kleider brauche, fiel ihm<lb/>
gar nicht ein.</p><lb/>
      <p>Triumphirend eilte er nach Hau&#x017F;e, und ver¬<lb/>
ku&#x0364;ndigte &#x017F;einen Eltern &#x017F;ein Glu&#x0364;ck &#x2014; aber wie<lb/>
&#x017F;ehr wurde &#x017F;eine Frende niederge&#x017F;chlagen, da &#x017F;ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 5</fw> <fw place="bottom" type="catch">Vater<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0195] Muth darnieder, und ſeine Knie bebten, da er vor ihm ſtand — als ihn aber der Greis leutſelig bei der Hand faßte, und mit ſanfter Stimme an¬ redete, fing er an, freimuͤthig zu ſprechen, und ſeine Neigung zum Studiren zu entdecken. — Der K. G. ließ ihn darauf eine von Gellerts geiſtlichen Oden laut leſen, um zu hoͤren, wie ſeine Ausrede und Stimme beſchaffen ſey, wenn er ſich dereinſt dem Predigtamt widmen wollte — Darauf verſprach er, ihm freien Unterricht zu ver¬ ſchaffen, und ihn mit Buͤchern zu unterſtuͤtzen; das ſey aber auch alles, was er fuͤr ihn thun koͤnne.— Anton war ſo voller Freuden uͤber dieſes Anerbieten, daß ſeine Dankbarkeit gar keine Grenzen hatte, und er nun alle Berge auf einmal uͤberſtiegen zu haben glaubte. Denn daß er auſ¬ ſer freiem Unterricht und Buͤchern auch noch Nahrung, Wohnung und Kleider brauche, fiel ihm gar nicht ein. Triumphirend eilte er nach Hauſe, und ver¬ kuͤndigte ſeinen Eltern ſein Gluͤck — aber wie ſehr wurde ſeine Frende niedergeſchlagen, da ſein Vater M 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/195
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/195>, abgerufen am 23.11.2024.