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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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merksamkeit erregen. -- Darum affektirte
er sie nun oft noch in höherm Grade, als sie
ihm natürlich war. -- Ja oft war er schon bei¬
nahe im Begriff, wenn ihm die Phisiognomie
irgend eines vornehmen Mannes Zutrauen ein¬
flößte, ihn geradezu anzureden, und ihm seine
Umstände zu entdecken. -- Der Gedanke schreckte
ihn aber immer wieder zurück, daß ihn dieser
vornehme Mann vielleicht für närrisch halten
möchte.

Zuweilen sang er auch, wenn er auf der
Straße ging, mit einer gewissen klagen¬
den Stimme, einige von den Liedern der
Mad. Guion, die er auswendig gelernt hatte,
und worinn er Anspielungen auf sein Schick¬
sal zu finden glaubte; und dann dachte er, weil
zuweilen in den Romanen, durch ein solches kla¬
gendes Lied, das einer singt, Wunderdinge ge¬
würkt werden, würde es auch ihm vielleicht ge¬
lingen, dadurch, daß er die Aufmerksamkeit ir¬
gend eines Menschenfreundes auf sich zöge, sei¬
nem Schicksal eine andere Wendung zu geben.

Für den Pastor P. . . ging seine Ehrfurcht
viel zu weit, als daß er es je hätte wagen sollen,

ihn

merkſamkeit erregen. — Darum affektirte
er ſie nun oft noch in hoͤherm Grade, als ſie
ihm natuͤrlich war. — Ja oft war er ſchon bei¬
nahe im Begriff, wenn ihm die Phiſiognomie
irgend eines vornehmen Mannes Zutrauen ein¬
floͤßte, ihn geradezu anzureden, und ihm ſeine
Umſtaͤnde zu entdecken. — Der Gedanke ſchreckte
ihn aber immer wieder zuruͤck, daß ihn dieſer
vornehme Mann vielleicht fuͤr naͤrriſch halten
moͤchte.

Zuweilen ſang er auch, wenn er auf der
Straße ging, mit einer gewiſſen klagen¬
den Stimme, einige von den Liedern der
Mad. Guion, die er auswendig gelernt hatte,
und worinn er Anſpielungen auf ſein Schick¬
ſal zu finden glaubte; und dann dachte er, weil
zuweilen in den Romanen, durch ein ſolches kla¬
gendes Lied, das einer ſingt, Wunderdinge ge¬
wuͤrkt werden, wuͤrde es auch ihm vielleicht ge¬
lingen, dadurch, daß er die Aufmerkſamkeit ir¬
gend eines Menſchenfreundes auf ſich zoͤge, ſei¬
nem Schickſal eine andere Wendung zu geben.

Fuͤr den Paſtor P. . . ging ſeine Ehrfurcht
viel zu weit, als daß er es je haͤtte wagen ſollen,

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[128/0138] merkſamkeit erregen. — Darum affektirte er ſie nun oft noch in hoͤherm Grade, als ſie ihm natuͤrlich war. — Ja oft war er ſchon bei¬ nahe im Begriff, wenn ihm die Phiſiognomie irgend eines vornehmen Mannes Zutrauen ein¬ floͤßte, ihn geradezu anzureden, und ihm ſeine Umſtaͤnde zu entdecken. — Der Gedanke ſchreckte ihn aber immer wieder zuruͤck, daß ihn dieſer vornehme Mann vielleicht fuͤr naͤrriſch halten moͤchte. Zuweilen ſang er auch, wenn er auf der Straße ging, mit einer gewiſſen klagen¬ den Stimme, einige von den Liedern der Mad. Guion, die er auswendig gelernt hatte, und worinn er Anſpielungen auf ſein Schick¬ ſal zu finden glaubte; und dann dachte er, weil zuweilen in den Romanen, durch ein ſolches kla¬ gendes Lied, das einer ſingt, Wunderdinge ge¬ wuͤrkt werden, wuͤrde es auch ihm vielleicht ge¬ lingen, dadurch, daß er die Aufmerkſamkeit ir¬ gend eines Menſchenfreundes auf ſich zoͤge, ſei¬ nem Schickſal eine andere Wendung zu geben. Fuͤr den Paſtor P. . . ging ſeine Ehrfurcht viel zu weit, als daß er es je haͤtte wagen ſollen, ihn

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/138>, abgerufen am 27.11.2024.