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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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weilen sang er seine Empfindungen, in Recita¬
tiven, von seiner eignen Melodie. Und wenn
er sich besonders von der Arbeit ermüdet, seine
Kräfte erschöpft, und von seiner Lage gedrückt
fühlte, mochte er sich am liebsten in religiösen
Schwärmereien, von Aufopferung, gänzlicher
Hingebung
, u. s. w. verlieren, und der Aus¬
druck Opfersaltar war ihm vorzüglich rührend,
so daß er diesen in alle die kleinen Lieder und
Recitative von seiner Erfindung mit einwebte.

Die Unterhaltungen mit seinem Mitlehr¬
burschen (dieser hieß August) fingen nun wieder
an, einen neuen Reiz für ihn zu bekommen, und
ihre Gespräche wurden vertraulich, da sie nun
einander wieder gleich waren. Die Nächte,
welche sie oft zusammen durchwachen mußten,
machten ihre Freundschaft noch inniger. Am
allervertraulichsten wurden sie aber, wenn sie
zusammen in der sogenannten Trockenstube saßen.
Dieses war ein in die Erde gemauertes, oben
mit Backsteinen zugewölbtes Loch, worin gerade
ein Mensch aufrecht stehen, und ohngefähr zwei
Menschen sitzen konnten. In dieses Loch wurde
ein großes Kohlenbecken gesetzt, und an den

weilen ſang er ſeine Empfindungen, in Recita¬
tiven, von ſeiner eignen Melodie. Und wenn
er ſich beſonders von der Arbeit ermuͤdet, ſeine
Kraͤfte erſchoͤpft, und von ſeiner Lage gedruͤckt
fuͤhlte, mochte er ſich am liebſten in religioͤſen
Schwaͤrmereien, von Aufopferung, gaͤnzlicher
Hingebung
, u. ſ. w. verlieren, und der Aus¬
druck Opfersaltar war ihm vorzuͤglich ruͤhrend,
ſo daß er dieſen in alle die kleinen Lieder und
Recitative von ſeiner Erfindung mit einwebte.

Die Unterhaltungen mit ſeinem Mitlehr¬
burſchen (dieſer hieß Auguſt) fingen nun wieder
an, einen neuen Reiz fuͤr ihn zu bekommen, und
ihre Geſpraͤche wurden vertraulich, da ſie nun
einander wieder gleich waren. Die Naͤchte,
welche ſie oft zuſammen durchwachen mußten,
machten ihre Freundſchaft noch inniger. Am
allervertraulichſten wurden ſie aber, wenn ſie
zuſammen in der ſogenannten Trockenſtube ſaßen.
Dieſes war ein in die Erde gemauertes, oben
mit Backſteinen zugewoͤlbtes Loch, worin gerade
ein Menſch aufrecht ſtehen, und ohngefaͤhr zwei
Menſchen ſitzen konnten. In dieſes Loch wurde
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[110/0120] weilen ſang er ſeine Empfindungen, in Recita¬ tiven, von ſeiner eignen Melodie. Und wenn er ſich beſonders von der Arbeit ermuͤdet, ſeine Kraͤfte erſchoͤpft, und von ſeiner Lage gedruͤckt fuͤhlte, mochte er ſich am liebſten in religioͤſen Schwaͤrmereien, von Aufopferung, gaͤnzlicher Hingebung, u. ſ. w. verlieren, und der Aus¬ druck Opfersaltar war ihm vorzuͤglich ruͤhrend, ſo daß er dieſen in alle die kleinen Lieder und Recitative von ſeiner Erfindung mit einwebte. Die Unterhaltungen mit ſeinem Mitlehr¬ burſchen (dieſer hieß Auguſt) fingen nun wieder an, einen neuen Reiz fuͤr ihn zu bekommen, und ihre Geſpraͤche wurden vertraulich, da ſie nun einander wieder gleich waren. Die Naͤchte, welche ſie oft zuſammen durchwachen mußten, machten ihre Freundſchaft noch inniger. Am allervertraulichſten wurden ſie aber, wenn ſie zuſammen in der ſogenannten Trockenſtube ſaßen. Dieſes war ein in die Erde gemauertes, oben mit Backſteinen zugewoͤlbtes Loch, worin gerade ein Menſch aufrecht ſtehen, und ohngefaͤhr zwei Menſchen ſitzen konnten. In dieſes Loch wurde ein großes Kohlenbecken geſetzt, und an den

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/120>, abgerufen am 27.11.2024.