Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

oder zu gehen schien, in ihr Nichts (wie es die
Mad. Guion nennt) wieder einzugehen, alle
Leidenschaften zu ertödten, und alle Eigenheit
auszurotten.

Alle diese Personen mußten sich täglich ein¬
mal in einem großen Zimmer des Hauses zu
einer Art von Gottesdienst versammlen, den der
Herr v. F. selbst eingerichtet hatte, und welcher
darinn bestand, daß sie sich alle um einen Tisch
setzten, und mit zugeschloßnen Augen, den Kopf
auf den Tisch gelegt, eine halbe Stunde war¬
teten, ob sie etwa die Stimme Gottes oder das
innre Wort, in sich vernehmen würden. Wer
dann etwas vernahm, der machte es den übri¬
gen bekannt.

Der Herr v. F. bestimmte auch die Lektüre
seiner Leute, und wer von den Knechten oder
Mägden eine müssige Viertelstunde hatte, den
sahe man nicht anders, als mit einer von der
Mad. Guion Schriften, vom innern Gebet,
oder dergleichen, in der Hand, in einer nach¬
denkenden Stellung sitzen und lesen.

Alles, bis auf die kleinsten häuslichen Be¬
schäftigungen, hatte in diesem Hause ein ernstes,

oder zu gehen ſchien, in ihr Nichts (wie es die
Mad. Guion nennt) wieder einzugehen, alle
Leidenſchaften zu ertoͤdten, und alle Eigenheit
auszurotten.

Alle dieſe Perſonen mußten ſich taͤglich ein¬
mal in einem großen Zimmer des Hauſes zu
einer Art von Gottesdienſt verſammlen, den der
Herr v. F. ſelbſt eingerichtet hatte, und welcher
darinn beſtand, daß ſie ſich alle um einen Tiſch
ſetzten, und mit zugeſchloßnen Augen, den Kopf
auf den Tiſch gelegt, eine halbe Stunde war¬
teten, ob ſie etwa die Stimme Gottes oder das
innre Wort, in ſich vernehmen wuͤrden. Wer
dann etwas vernahm, der machte es den uͤbri¬
gen bekannt.

Der Herr v. F. beſtimmte auch die Lektuͤre
ſeiner Leute, und wer von den Knechten oder
Maͤgden eine muͤſſige Viertelſtunde hatte, den
ſahe man nicht anders, als mit einer von der
Mad. Guion Schriften, vom innern Gebet,
oder dergleichen, in der Hand, in einer nach¬
denkenden Stellung ſitzen und leſen.

Alles, bis auf die kleinſten haͤuslichen Be¬
ſchaͤftigungen, hatte in dieſem Hauſe ein ernſtes,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0012" n="2"/>
oder zu gehen &#x017F;chien, in ihr <hi rendition="#fr">Nichts</hi> (wie es die<lb/>
Mad. Guion nennt) wieder einzugehen, alle<lb/>
Leiden&#x017F;chaften zu <hi rendition="#fr">erto&#x0364;dten</hi>, und alle <hi rendition="#fr">Eigenheit</hi><lb/>
auszurotten.</p><lb/>
      <p>Alle die&#x017F;e Per&#x017F;onen mußten &#x017F;ich ta&#x0364;glich ein¬<lb/>
mal in einem großen Zimmer des Hau&#x017F;es zu<lb/>
einer Art von Gottesdien&#x017F;t ver&#x017F;ammlen, den der<lb/>
Herr v. F. &#x017F;elb&#x017F;t eingerichtet hatte, und welcher<lb/>
darinn be&#x017F;tand, daß &#x017F;ie &#x017F;ich alle um einen Ti&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;etzten, und mit zuge&#x017F;chloßnen Augen, den Kopf<lb/>
auf den Ti&#x017F;ch gelegt, eine halbe Stunde war¬<lb/>
teten, ob &#x017F;ie etwa die Stimme Gottes oder das<lb/><hi rendition="#fr">innre Wort</hi>, in &#x017F;ich vernehmen wu&#x0364;rden. Wer<lb/>
dann etwas vernahm, der machte es den u&#x0364;bri¬<lb/>
gen bekannt.</p><lb/>
      <p>Der Herr v. F. be&#x017F;timmte auch die Lektu&#x0364;re<lb/>
&#x017F;einer Leute, und wer von den Knechten oder<lb/>
Ma&#x0364;gden eine mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Viertel&#x017F;tunde hatte, den<lb/>
&#x017F;ahe man nicht anders, als mit einer von der<lb/>
Mad. Guion Schriften, vom <hi rendition="#fr">innern Gebet</hi>,<lb/>
oder dergleichen, in der Hand, in einer nach¬<lb/>
denkenden Stellung &#x017F;itzen und le&#x017F;en.</p><lb/>
      <p>Alles, bis auf die klein&#x017F;ten ha&#x0364;uslichen Be¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigungen, hatte in die&#x017F;em Hau&#x017F;e ein ern&#x017F;tes,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0012] oder zu gehen ſchien, in ihr Nichts (wie es die Mad. Guion nennt) wieder einzugehen, alle Leidenſchaften zu ertoͤdten, und alle Eigenheit auszurotten. Alle dieſe Perſonen mußten ſich taͤglich ein¬ mal in einem großen Zimmer des Hauſes zu einer Art von Gottesdienſt verſammlen, den der Herr v. F. ſelbſt eingerichtet hatte, und welcher darinn beſtand, daß ſie ſich alle um einen Tiſch ſetzten, und mit zugeſchloßnen Augen, den Kopf auf den Tiſch gelegt, eine halbe Stunde war¬ teten, ob ſie etwa die Stimme Gottes oder das innre Wort, in ſich vernehmen wuͤrden. Wer dann etwas vernahm, der machte es den uͤbri¬ gen bekannt. Der Herr v. F. beſtimmte auch die Lektuͤre ſeiner Leute, und wer von den Knechten oder Maͤgden eine muͤſſige Viertelſtunde hatte, den ſahe man nicht anders, als mit einer von der Mad. Guion Schriften, vom innern Gebet, oder dergleichen, in der Hand, in einer nach¬ denkenden Stellung ſitzen und leſen. Alles, bis auf die kleinſten haͤuslichen Be¬ ſchaͤftigungen, hatte in dieſem Hauſe ein ernſtes,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/12
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/12>, abgerufen am 23.11.2024.