Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

die religiösen Ausdrücke des Hrn. L. von Ertöd¬
tung, u. s. w. nachzuahmen suchte, gerieth er oft
in ein sonderbares Galimathias.

Mit vorzüglichem Nachdruck wußte er sich
einiger Stellen aus den Psalmen Davids,
worinn eben keine sanftmüthigen Gesinnungen
gegen die Feinde geäußert werden, zu bedienen,
wenn er glaubte, durch die Haushälterin oder
jemand anders, angeschwärzt und verläumdet
zu seyn.

So waren fast alle Hausgenossen mehr oder
weniger von den religiösen Schwärmereien des
Hrn. L. angesteckt, ausgenommen der Geselle.
Dieser warf ihm, wenn er ihm manchmal zuviel
von Ertödtung und Vernichtung schwatzte, einen
solchen tödtenden und vernichtenden Blick zu,
daß Hr. L. sich mit Abscheu wegwandte, und
still schwieg.

Sonst konnte Hr. L. zuweilen stundenlange
Strafpredigten gegen das ganze menschliche Ge¬
schlecht halten. Mit einer sanften Bewegung der
rechten Hand theilte er dann Segen und Ver¬
dammniß aus. Seine Miene sollte dabei mitleids¬
voll seyn, aber die Intoleranz und der Menschen¬

die religioͤſen Ausdruͤcke des Hrn. L. von Ertoͤd¬
tung, u. ſ. w. nachzuahmen ſuchte, gerieth er oft
in ein ſonderbares Galimathias.

Mit vorzuͤglichem Nachdruck wußte er ſich
einiger Stellen aus den Pſalmen Davids,
worinn eben keine ſanftmuͤthigen Geſinnungen
gegen die Feinde geaͤußert werden, zu bedienen,
wenn er glaubte, durch die Haushaͤlterin oder
jemand anders, angeſchwaͤrzt und verlaͤumdet
zu ſeyn.

So waren faſt alle Hausgenoſſen mehr oder
weniger von den religioͤſen Schwaͤrmereien des
Hrn. L. angeſteckt, ausgenommen der Geſelle.
Dieſer warf ihm, wenn er ihm manchmal zuviel
von Ertoͤdtung und Vernichtung ſchwatzte, einen
ſolchen toͤdtenden und vernichtenden Blick zu,
daß Hr. L. ſich mit Abſcheu wegwandte, und
ſtill ſchwieg.

Sonſt konnte Hr. L. zuweilen ſtundenlange
Strafpredigten gegen das ganze menſchliche Ge¬
ſchlecht halten. Mit einer ſanften Bewegung der
rechten Hand theilte er dann Segen und Ver¬
dammniß aus. Seine Miene ſollte dabei mitleids¬
voll ſeyn, aber die Intoleranz und der Menſchen¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0101" n="91"/>
die religio&#x0364;&#x017F;en Ausdru&#x0364;cke des Hrn. L. von Erto&#x0364;<lb/>
tung, u. &#x017F;. w. nachzuahmen &#x017F;uchte, gerieth er oft<lb/>
in ein &#x017F;onderbares Galimathias.</p><lb/>
      <p>Mit vorzu&#x0364;glichem Nachdruck wußte er &#x017F;ich<lb/>
einiger Stellen aus den P&#x017F;almen Davids,<lb/>
worinn eben keine &#x017F;anftmu&#x0364;thigen Ge&#x017F;innungen<lb/>
gegen die <hi rendition="#fr">Feinde</hi> gea&#x0364;ußert werden, zu bedienen,<lb/>
wenn er glaubte, durch die Hausha&#x0364;lterin oder<lb/>
jemand anders, ange&#x017F;chwa&#x0364;rzt und verla&#x0364;umdet<lb/>
zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
      <p>So waren fa&#x017F;t alle Hausgeno&#x017F;&#x017F;en mehr oder<lb/>
weniger von den religio&#x0364;&#x017F;en Schwa&#x0364;rmereien des<lb/>
Hrn. L. ange&#x017F;teckt, ausgenommen der Ge&#x017F;elle.<lb/>
Die&#x017F;er warf ihm, wenn er ihm manchmal zuviel<lb/>
von Erto&#x0364;dtung und Vernichtung &#x017F;chwatzte, einen<lb/>
&#x017F;olchen to&#x0364;dtenden und vernichtenden Blick zu,<lb/>
daß Hr. L. &#x017F;ich mit Ab&#x017F;cheu wegwandte, und<lb/>
&#x017F;till &#x017F;chwieg.</p><lb/>
      <p>Son&#x017F;t konnte Hr. L. zuweilen &#x017F;tundenlange<lb/>
Strafpredigten gegen das ganze men&#x017F;chliche Ge¬<lb/>
&#x017F;chlecht halten. Mit einer &#x017F;anften Bewegung der<lb/>
rechten Hand theilte er dann Segen und Ver¬<lb/>
dammniß aus. Seine Miene &#x017F;ollte dabei mitleids¬<lb/>
voll &#x017F;eyn, aber die Intoleranz und der Men&#x017F;chen¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0101] die religioͤſen Ausdruͤcke des Hrn. L. von Ertoͤd¬ tung, u. ſ. w. nachzuahmen ſuchte, gerieth er oft in ein ſonderbares Galimathias. Mit vorzuͤglichem Nachdruck wußte er ſich einiger Stellen aus den Pſalmen Davids, worinn eben keine ſanftmuͤthigen Geſinnungen gegen die Feinde geaͤußert werden, zu bedienen, wenn er glaubte, durch die Haushaͤlterin oder jemand anders, angeſchwaͤrzt und verlaͤumdet zu ſeyn. So waren faſt alle Hausgenoſſen mehr oder weniger von den religioͤſen Schwaͤrmereien des Hrn. L. angeſteckt, ausgenommen der Geſelle. Dieſer warf ihm, wenn er ihm manchmal zuviel von Ertoͤdtung und Vernichtung ſchwatzte, einen ſolchen toͤdtenden und vernichtenden Blick zu, daß Hr. L. ſich mit Abſcheu wegwandte, und ſtill ſchwieg. Sonſt konnte Hr. L. zuweilen ſtundenlange Strafpredigten gegen das ganze menſchliche Ge¬ ſchlecht halten. Mit einer ſanften Bewegung der rechten Hand theilte er dann Segen und Ver¬ dammniß aus. Seine Miene ſollte dabei mitleids¬ voll ſeyn, aber die Intoleranz und der Menſchen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/101
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/101>, abgerufen am 23.11.2024.