Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

grossen Ganzen, das in allen seinen Theilen sich in
sich selber spiegelnd, da den reinsten Abdruck lässt,
wo alle Beziehung aufhört, in dem ächten Kunstwerke,
das, so wie sie, in sich selbst vollendet, den Endzweck
und die Absicht seines Daseyns in sich selber hat. --

Auf die Weise entstand, ohne alle Rücksicht auf
Nutzen oder Schaden, den es stiften könnte, das
Schöne der bildenden Künste in jeder Art, bloss um
sein selbst und seiner Schönheit willen; und konnte
auf keine andere Weise entstehen, weil der Begriff
der Schönheit selbst schon jede Rücksicht auf Nutzen
oder Schaden, seiner Natur nach, ausschliesst; und
der Begriff des Schädlichen auch bei der wirklichen
Hervorbringung des Schönen sich von selbst aufhebt.

Denn suchen wir uns nun noch zuletzt den Be¬
griff des Schädlichen näher zu entwickeln, so ist nur
jede unvollkommnere Sache in sofern schädlich, als
eine vollkommnere darunter leidet. -- Das wirklich
Vollkommnere kann daher nie dem Unvollkommnern;
dem weniger Organisirten nie das höher Organisirte
schaden.

Wir sagen: es ist schade um den Theil der Pflan¬
zenwelt, den die hereinbrechende Fluth verschlingt;
aber nicht um den, der, von der lebenden Welt zer¬
stöhrt, in eine höhere Organisation hinüber geht: denn
weit mehr Schade, als um die Pflanzenwelt, wäre es
um die lebende Welt, wenn sie deswegen aufhören
sollte, damit die ganze Pflanzenwelt unbeschädigt
bliebe. --

Und

grosſen Ganzen, das in allen ſeinen Theilen ſich in
ſich ſelber ſpiegelnd, da den reinſten Abdruck läſst,
wo alle Beziehung aufhört, in dem ächten Kunſtwerke,
das, ſo wie ſie, in ſich ſelbſt vollendet, den Endzweck
und die Abſicht ſeines Daſeyns in ſich ſelber hat. —

Auf die Weiſe entſtand, ohne alle Rückſicht auf
Nutzen oder Schaden, den es ſtiften könnte, das
Schöne der bildenden Künſte in jeder Art, bloſs um
ſein ſelbſt und ſeiner Schönheit willen; und konnte
auf keine andere Weiſe entſtehen, weil der Begriff
der Schönheit ſelbſt ſchon jede Rückſicht auf Nutzen
oder Schaden, ſeiner Natur nach, ausſchlieſst; und
der Begriff des Schädlichen auch bei der wirklichen
Hervorbringung des Schönen ſich von ſelbſt aufhebt.

Denn ſuchen wir uns nun noch zuletzt den Be¬
griff des Schädlichen näher zu entwickeln, ſo iſt nur
jede unvollkommnere Sache in ſofern ſchädlich, als
eine vollkommnere darunter leidet. — Das wirklich
Vollkommnere kann daher nie dem Unvollkommnern;
dem weniger Organiſirten nie das höher Organiſirte
ſchaden.

Wir ſagen: es iſt ſchade um den Theil der Pflan¬
zenwelt, den die hereinbrechende Fluth verſchlingt;
aber nicht um den, der, von der lebenden Welt zer¬
ſtöhrt, in eine höhere Organiſation hinüber geht: denn
weit mehr Schade, als um die Pflanzenwelt, wäre es
um die lebende Welt, wenn ſie deswegen aufhören
ſollte, damit die ganze Pflanzenwelt unbeſchädigt
bliebe. —

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0046" n="40"/>
gros&#x017F;en Ganzen, das in allen &#x017F;einen Theilen &#x017F;ich in<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;piegelnd, da den rein&#x017F;ten Abdruck lä&#x017F;st,<lb/>
wo alle Beziehung aufhört, in dem ächten Kun&#x017F;twerke,<lb/>
das, &#x017F;o wie &#x017F;ie, in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t vollendet, den Endzweck<lb/>
und die Ab&#x017F;icht &#x017F;eines Da&#x017F;eyns in &#x017F;ich &#x017F;elber hat. &#x2014;<lb/></p>
      <p>Auf die Wei&#x017F;e ent&#x017F;tand, ohne alle Rück&#x017F;icht auf<lb/>
Nutzen oder Schaden, den es &#x017F;tiften könnte, das<lb/>
Schöne der bildenden Kün&#x017F;te in jeder Art, blo&#x017F;s um<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;einer Schönheit willen; und konnte<lb/>
auf keine andere Wei&#x017F;e ent&#x017F;tehen, weil der Begriff<lb/>
der Schönheit &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon jede Rück&#x017F;icht auf Nutzen<lb/>
oder Schaden, &#x017F;einer Natur nach, aus&#x017F;chlie&#x017F;st; und<lb/>
der Begriff des Schädlichen auch bei der wirklichen<lb/>
Hervorbringung des Schönen &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t aufhebt.</p><lb/>
      <p>Denn &#x017F;uchen wir uns nun noch zuletzt den Be¬<lb/>
griff des Schädlichen näher zu entwickeln, &#x017F;o i&#x017F;t nur<lb/>
jede unvollkommnere Sache in &#x017F;ofern &#x017F;chädlich, als<lb/>
eine vollkommnere darunter leidet. &#x2014; Das wirklich<lb/>
Vollkommnere kann daher nie dem Unvollkommnern;<lb/>
dem weniger Organi&#x017F;irten nie das höher Organi&#x017F;irte<lb/>
&#x017F;chaden.</p><lb/>
      <p>Wir &#x017F;agen: es i&#x017F;t &#x017F;chade um den Theil der Pflan¬<lb/>
zenwelt, den die hereinbrechende Fluth ver&#x017F;chlingt;<lb/>
aber nicht um den, der, von der lebenden Welt zer¬<lb/>
&#x017F;töhrt, in eine höhere Organi&#x017F;ation hinüber geht: denn<lb/>
weit mehr Schade, als um die Pflanzenwelt, wäre es<lb/>
um die lebende Welt, wenn &#x017F;ie deswegen aufhören<lb/>
&#x017F;ollte, damit die ganze Pflanzenwelt unbe&#x017F;chädigt<lb/>
bliebe. &#x2014;<lb/></p>
      <fw place="bottom" type="catch">Und<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0046] grosſen Ganzen, das in allen ſeinen Theilen ſich in ſich ſelber ſpiegelnd, da den reinſten Abdruck läſst, wo alle Beziehung aufhört, in dem ächten Kunſtwerke, das, ſo wie ſie, in ſich ſelbſt vollendet, den Endzweck und die Abſicht ſeines Daſeyns in ſich ſelber hat. — Auf die Weiſe entſtand, ohne alle Rückſicht auf Nutzen oder Schaden, den es ſtiften könnte, das Schöne der bildenden Künſte in jeder Art, bloſs um ſein ſelbſt und ſeiner Schönheit willen; und konnte auf keine andere Weiſe entſtehen, weil der Begriff der Schönheit ſelbſt ſchon jede Rückſicht auf Nutzen oder Schaden, ſeiner Natur nach, ausſchlieſst; und der Begriff des Schädlichen auch bei der wirklichen Hervorbringung des Schönen ſich von ſelbſt aufhebt. Denn ſuchen wir uns nun noch zuletzt den Be¬ griff des Schädlichen näher zu entwickeln, ſo iſt nur jede unvollkommnere Sache in ſofern ſchädlich, als eine vollkommnere darunter leidet. — Das wirklich Vollkommnere kann daher nie dem Unvollkommnern; dem weniger Organiſirten nie das höher Organiſirte ſchaden. Wir ſagen: es iſt ſchade um den Theil der Pflan¬ zenwelt, den die hereinbrechende Fluth verſchlingt; aber nicht um den, der, von der lebenden Welt zer¬ ſtöhrt, in eine höhere Organiſation hinüber geht: denn weit mehr Schade, als um die Pflanzenwelt, wäre es um die lebende Welt, wenn ſie deswegen aufhören ſollte, damit die ganze Pflanzenwelt unbeſchädigt bliebe. — Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/46
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Über die bildende Nachahmung des Schönen. Braunschweig, 1788, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_nachahmung_1788/46>, abgerufen am 25.11.2024.