chen, sich auf dem Berge Parnassus niederließ, wo ein Orakel der Themis war, das sie wegen der Zukunft um Rath befragten.
Und das Orakel that den Ausspruch, sie soll- ten, um die einsame Erde wieder zu bevölkern, mit verhülltem Antlitz, die Gebeine ihrer Mut- ter hinter sich werfen. Sie deuteten diesen ge- heimnißvollen Ausspruch auf die Steine, welche sie als die harten und festen Theile ihrer Mutter Erde hinter sich warfen, und gleichsam von der wunderbaren neuen Bildung ehrfurchtsvoll ihre Blicke wegwandten.
Und als sie sich umsahen, war aus den har- ten Kieselsteinen ein neues Geschlecht der Men- schen entsprossen, deren harte Herzen keine Ge- fahr und keine Drohung scheuen; die kühn das Meer beschiffen; den wilden Stürmen trotz bie- ten, und in der blutigen Feldschlacht dem Tod' ins Angesicht sehen.
Es ist merkwürdig, daß in diesen alten Dich- tungen der Ursprung der Menschen immer schon ihre Anlage zum Unbiegsamen, Harten und Kriegerischen in sich faßt. So mußte Kadmus in dem einsamen Böotien, auf den Befehl der Götter, die Zähne des von ihm erlegten Drachen in die Erde säen, um seine gefallenen Krieger zu ersetzen.
Und aus dieser Saat des Kadmus keimten geharnischte Männer auf, die ihre Schwerdter
chen, ſich auf dem Berge Parnaſſus niederließ, wo ein Orakel der Themis war, das ſie wegen der Zukunft um Rath befragten.
Und das Orakel that den Ausſpruch, ſie ſoll- ten, um die einſame Erde wieder zu bevoͤlkern, mit verhuͤlltem Antlitz, die Gebeine ihrer Mut- ter hinter ſich werfen. Sie deuteten dieſen ge- heimnißvollen Ausſpruch auf die Steine, welche ſie als die harten und feſten Theile ihrer Mutter Erde hinter ſich warfen, und gleichſam von der wunderbaren neuen Bildung ehrfurchtsvoll ihre Blicke wegwandten.
Und als ſie ſich umſahen, war aus den har- ten Kieſelſteinen ein neues Geſchlecht der Men- ſchen entſproſſen, deren harte Herzen keine Ge- fahr und keine Drohung ſcheuen; die kuͤhn das Meer beſchiffen; den wilden Stuͤrmen trotz bie- ten, und in der blutigen Feldſchlacht dem Tod’ ins Angeſicht ſehen.
Es iſt merkwuͤrdig, daß in dieſen alten Dich- tungen der Urſprung der Menſchen immer ſchon ihre Anlage zum Unbiegſamen, Harten und Kriegeriſchen in ſich faßt. So mußte Kadmus in dem einſamen Boͤotien, auf den Befehl der Goͤtter, die Zaͤhne des von ihm erlegten Drachen in die Erde ſaͤen, um ſeine gefallenen Krieger zu erſetzen.
Und aus dieſer Saat des Kadmus keimten geharniſchte Maͤnner auf, die ihre Schwerdter
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chen, ſich auf dem Berge Parnaſſus niederließ,
wo ein Orakel der Themis war, das ſie wegen
der Zukunft um Rath befragten.
Und das Orakel that den Ausſpruch, ſie ſoll-
ten, um die einſame Erde wieder zu bevoͤlkern,
mit verhuͤlltem Antlitz, die Gebeine ihrer Mut-
ter hinter ſich werfen. Sie deuteten dieſen ge-
heimnißvollen Ausſpruch auf die Steine, welche
ſie als die harten und feſten Theile ihrer Mutter
Erde hinter ſich warfen, und gleichſam von der
wunderbaren neuen Bildung ehrfurchtsvoll ihre
Blicke wegwandten.
Und als ſie ſich umſahen, war aus den har-
ten Kieſelſteinen ein neues Geſchlecht der Men-
ſchen entſproſſen, deren harte Herzen keine Ge-
fahr und keine Drohung ſcheuen; die kuͤhn das
Meer beſchiffen; den wilden Stuͤrmen trotz bie-
ten, und in der blutigen Feldſchlacht dem Tod’ ins
Angeſicht ſehen.
Es iſt merkwuͤrdig, daß in dieſen alten Dich-
tungen der Urſprung der Menſchen immer ſchon
ihre Anlage zum Unbiegſamen, Harten und
Kriegeriſchen in ſich faßt. So mußte Kadmus in
dem einſamen Boͤotien, auf den Befehl der Goͤtter,
die Zaͤhne des von ihm erlegten Drachen in die
Erde ſaͤen, um ſeine gefallenen Krieger zu erſetzen.
Und aus dieſer Saat des Kadmus keimten
geharniſchte Maͤnner auf, die ihre Schwerdter
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/62>, abgerufen am 22.11.2024.
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