wünschten nun selbst die Stelle der Verstoßnen ein- zunehmen, und stellten sich eine nach der andern auf die Felsenspitze, wo sie glaubten, daß der Zephir sie nach dem gewünschten Aufenthalt brin- gen würde; allein sie stürzten in die Tiefe hinab, und büßten ihren Neid, und den Verrath an ihrer Schwester, mit dem Tode.
Um den Amor aufzusuchen, schweifte Psyche vergebens auf der ganzen Erd' umher; sie flehte zuletzt die Venus selber um Erbarmung an, welche heftig auf sie zürnend, und auf ihre Schönheit eifersüchtig, ihr die härtesten Prü- fungen, und die schwersten Arbeiten auferlegte, deren Ausführung oft unmöglich schien, -- und die sie dennoch mit Hülfe wohlthätiger We- sen vollbrachte, welche Amor, der sie stets noch liebte, ihr zum Beistande schickte. Psyche aber mußte lange für ihre Thorheit büßen, und des verscherzten Glücks erst wieder würdig werden. -- Zuletzt befahl ihr Venus, selbst in die Unterwelt hinabzusteigen, und von der Pro- serpina eine Büchse zu fordern, welche hohe Schönheitsreitze in sich enthielte. Nun glaubte Psyche, sie müsse sterben, um in die Unter- welt zu kommen. Allein eine Stimme belehrte sie, von jeder Vorsicht, die sie nehmen, und warnte sie vor jeder Gefahr, die sie vermei- den müsse.
wuͤnſchten nun ſelbſt die Stelle der Verſtoßnen ein- zunehmen, und ſtellten ſich eine nach der andern auf die Felſenſpitze, wo ſie glaubten, daß der Zephir ſie nach dem gewuͤnſchten Aufenthalt brin- gen wuͤrde; allein ſie ſtuͤrzten in die Tiefe hinab, und buͤßten ihren Neid, und den Verrath an ihrer Schweſter, mit dem Tode.
Um den Amor aufzuſuchen, ſchweifte Pſyche vergebens auf der ganzen Erd’ umher; ſie flehte zuletzt die Venus ſelber um Erbarmung an, welche heftig auf ſie zuͤrnend, und auf ihre Schoͤnheit eiferſuͤchtig, ihr die haͤrteſten Pruͤ- fungen, und die ſchwerſten Arbeiten auferlegte, deren Ausfuͤhrung oft unmoͤglich ſchien, — und die ſie dennoch mit Huͤlfe wohlthaͤtiger We- ſen vollbrachte, welche Amor, der ſie ſtets noch liebte, ihr zum Beiſtande ſchickte. Pſyche aber mußte lange fuͤr ihre Thorheit buͤßen, und des verſcherzten Gluͤcks erſt wieder wuͤrdig werden. — Zuletzt befahl ihr Venus, ſelbſt in die Unterwelt hinabzuſteigen, und von der Pro- ſerpina eine Buͤchſe zu fordern, welche hohe Schoͤnheitsreitze in ſich enthielte. Nun glaubte Pſyche, ſie muͤſſe ſterben, um in die Unter- welt zu kommen. Allein eine Stimme belehrte ſie, von jeder Vorſicht, die ſie nehmen, und warnte ſie vor jeder Gefahr, die ſie vermei- den muͤſſe.
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wuͤnſchten nun ſelbſt die Stelle der Verſtoßnen ein-
zunehmen, und ſtellten ſich eine nach der andern
auf die Felſenſpitze, wo ſie glaubten, daß der
Zephir ſie nach dem gewuͤnſchten Aufenthalt brin-
gen wuͤrde; allein ſie ſtuͤrzten in die Tiefe hinab,
und buͤßten ihren Neid, und den Verrath an
ihrer Schweſter, mit dem Tode.
Um den Amor aufzuſuchen, ſchweifte Pſyche
vergebens auf der ganzen Erd’ umher; ſie flehte
zuletzt die Venus ſelber um Erbarmung an,
welche heftig auf ſie zuͤrnend, und auf ihre
Schoͤnheit eiferſuͤchtig, ihr die haͤrteſten Pruͤ-
fungen, und die ſchwerſten Arbeiten auferlegte,
deren Ausfuͤhrung oft unmoͤglich ſchien, —
und die ſie dennoch mit Huͤlfe wohlthaͤtiger We-
ſen vollbrachte, welche Amor, der ſie ſtets
noch liebte, ihr zum Beiſtande ſchickte. Pſyche
aber mußte lange fuͤr ihre Thorheit buͤßen,
und des verſcherzten Gluͤcks erſt wieder wuͤrdig
werden. — Zuletzt befahl ihr Venus, ſelbſt in
die Unterwelt hinabzuſteigen, und von der Pro-
ſerpina eine Buͤchſe zu fordern, welche hohe
Schoͤnheitsreitze in ſich enthielte. Nun glaubte
Pſyche, ſie muͤſſe ſterben, um in die Unter-
welt zu kommen. Allein eine Stimme belehrte
ſie, von jeder Vorſicht, die ſie nehmen, und
warnte ſie vor jeder Gefahr, die ſie vermei-
den muͤſſe.
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/478>, abgerufen am 28.11.2024.
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