einer gröbern Hülle sich emporschwingend, und verfeinert zu einem höhern Daseyn, zu schön für diese Erde, durch Amors Liebe selbst beglückt, zu- letzt mit ihm vermählt ward, und an der Seelig- keit der himmlischen Götter Theil nahm. -- Der Nahme Psyche selbst bedeutet sowohl einen Schmet- terling als die Seele. -- Die zartesten Begriffe von Tod und Leben sind dieser Dichtung eingewebt, welche gleichsam über die Schauer der Schatten- welt einen sanften Schleier deckt.
Auf Erden war Psyche die jüngste von drei Königstöchtern; und sie blieb unvermählt, weil wegen ihrer himmlischen Schönheit kein Sterbli- cher es wagte, sich um sie zu bewerben. Auf den Befehl eines Orakelspruchs mußten ihre Eltern und Freunde sie wie zum Tode, im Leichenschmuck, auf einen hohen Berg begleiten, und an dem Rande eines jähen Abgrundes sie verlassen. -- Sobald sich Psyche allein sahe, ward sie von einem Zephir sanft emporgetragen, und in ein an- muthiges Gefilde, wo ein glänzender Pallast stand, zu Amors unsichtbaren Umarmungen hinwegge- rückt. -- Oft warnte Amors Stimme sie, bei dem Verlust seiner Liebe, niemals, wer ihr Lieb- haber sey? neugierig nachzuforschen.
Mitten aber im Genuß eines himmlischen Glücks, sehnte Psyche, zu ihrem Schaden, den-
einer groͤbern Huͤlle ſich emporſchwingend, und verfeinert zu einem hoͤhern Daſeyn, zu ſchoͤn fuͤr dieſe Erde, durch Amors Liebe ſelbſt begluͤckt, zu- letzt mit ihm vermaͤhlt ward, und an der Seelig- keit der himmliſchen Goͤtter Theil nahm. — Der Nahme Pſyche ſelbſt bedeutet ſowohl einen Schmet- terling als die Seele. — Die zarteſten Begriffe von Tod und Leben ſind dieſer Dichtung eingewebt, welche gleichſam uͤber die Schauer der Schatten- welt einen ſanften Schleier deckt.
Auf Erden war Pſyche die juͤngſte von drei Koͤnigstoͤchtern; und ſie blieb unvermaͤhlt, weil wegen ihrer himmliſchen Schoͤnheit kein Sterbli- cher es wagte, ſich um ſie zu bewerben. Auf den Befehl eines Orakelſpruchs mußten ihre Eltern und Freunde ſie wie zum Tode, im Leichenſchmuck, auf einen hohen Berg begleiten, und an dem Rande eines jaͤhen Abgrundes ſie verlaſſen. — Sobald ſich Pſyche allein ſahe, ward ſie von einem Zephir ſanft emporgetragen, und in ein an- muthiges Gefilde, wo ein glaͤnzender Pallaſt ſtand, zu Amors unſichtbaren Umarmungen hinwegge- ruͤckt. — Oft warnte Amors Stimme ſie, bei dem Verluſt ſeiner Liebe, niemals, wer ihr Lieb- haber ſey? neugierig nachzuforſchen.
Mitten aber im Genuß eines himmliſchen Gluͤcks, ſehnte Pſyche, zu ihrem Schaden, den-
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einer groͤbern Huͤlle ſich emporſchwingend, und
verfeinert zu einem hoͤhern Daſeyn, zu ſchoͤn fuͤr
dieſe Erde, durch Amors Liebe ſelbſt begluͤckt, zu-
letzt mit ihm vermaͤhlt ward, und an der Seelig-
keit der himmliſchen Goͤtter Theil nahm. — Der
Nahme Pſyche ſelbſt bedeutet ſowohl einen Schmet-
terling als die Seele. — Die zarteſten Begriffe
von Tod und Leben ſind dieſer Dichtung eingewebt,
welche gleichſam uͤber die Schauer der Schatten-
welt einen ſanften Schleier deckt.
Auf Erden war Pſyche die juͤngſte von drei
Koͤnigstoͤchtern; und ſie blieb unvermaͤhlt, weil
wegen ihrer himmliſchen Schoͤnheit kein Sterbli-
cher es wagte, ſich um ſie zu bewerben. Auf den
Befehl eines Orakelſpruchs mußten ihre Eltern und
Freunde ſie wie zum Tode, im Leichenſchmuck,
auf einen hohen Berg begleiten, und an dem
Rande eines jaͤhen Abgrundes ſie verlaſſen. —
Sobald ſich Pſyche allein ſahe, ward ſie von
einem Zephir ſanft emporgetragen, und in ein an-
muthiges Gefilde, wo ein glaͤnzender Pallaſt ſtand,
zu Amors unſichtbaren Umarmungen hinwegge-
ruͤckt. — Oft warnte Amors Stimme ſie, bei
dem Verluſt ſeiner Liebe, niemals, wer ihr Lieb-
haber ſey? neugierig nachzuforſchen.
Mitten aber im Genuß eines himmliſchen
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/476>, abgerufen am 28.11.2024.
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