Der Tartarus oder Erebus war eigentlich die Wohnung der Nacht, da wo man sich die Sonne untersinkend dachte, am äußersten Ende der Erde, wo auch die Behausung des Pluto war, unter welcher die gestürzten Titanen, die Söhne des Himmels, im dunkeln Gefängniß trauern muß- ten. -- Da waren aber auch in dem atlantischen Ocean, nahe an den Grenzen der Nacht, die Inseln der Seeligen, auf denen ein ewiger Früh- ling herrschte. -- An eben diesem dämmernden Horizonte ruhte der Himmel auf des Atlas Schul- tern. -- Auch hatte die Einbildungskraft die fabelhaften Gärten der Hesperiden hieher versetzt, und die Hesperiden selber waren Kinder der Nacht. -- So wie aber irgend ein Land von Griechenland westwärts lag, es mochte nun nä- her oder entfernter seyn, trug die Phantasie jene schwankenden Begriffe darauf über. In Grie- chenland selber dachte man sich bei dem Vorgebirge Tänarum einen Eingang in das Reich des Pluto; und in Thesprotien, dem westlichsten Theile von
Die Schattenwelt.
Der Tartarus oder Erebus war eigentlich die Wohnung der Nacht, da wo man ſich die Sonne unterſinkend dachte, am aͤußerſten Ende der Erde, wo auch die Behauſung des Pluto war, unter welcher die geſtuͤrzten Titanen, die Soͤhne des Himmels, im dunkeln Gefaͤngniß trauern muß- ten. — Da waren aber auch in dem atlantiſchen Ocean, nahe an den Grenzen der Nacht, die Inſeln der Seeligen, auf denen ein ewiger Fruͤh- ling herrſchte. — An eben dieſem daͤmmernden Horizonte ruhte der Himmel auf des Atlas Schul- tern. — Auch hatte die Einbildungskraft die fabelhaften Gaͤrten der Heſperiden hieher verſetzt, und die Heſperiden ſelber waren Kinder der Nacht. — So wie aber irgend ein Land von Griechenland weſtwaͤrts lag, es mochte nun naͤ- her oder entfernter ſeyn, trug die Phantaſie jene ſchwankenden Begriffe darauf uͤber. In Grie- chenland ſelber dachte man ſich bei dem Vorgebirge Taͤnarum einen Eingang in das Reich des Pluto; und in Theſprotien, dem weſtlichſten Theile von
<TEI><text><body><pbfacs="#f0460"n="386"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Schattenwelt</hi>.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">D</hi>er <hirendition="#fr">Tartarus</hi> oder <hirendition="#fr">Erebus</hi> war eigentlich die<lb/>
Wohnung der Nacht, da wo man ſich die Sonne<lb/>
unterſinkend dachte, am aͤußerſten Ende der Erde,<lb/>
wo auch die Behauſung des <hirendition="#fr">Pluto</hi> war, <hirendition="#fr">unter<lb/>
welcher</hi> die geſtuͤrzten Titanen, die Soͤhne des<lb/>
Himmels, im dunkeln Gefaͤngniß trauern muß-<lb/>
ten. — Da waren aber auch in dem <hirendition="#fr">atlantiſchen<lb/>
Ocean,</hi> nahe an den Grenzen der Nacht, die<lb/>
Inſeln der Seeligen, auf denen ein ewiger Fruͤh-<lb/>
ling herrſchte. — An eben dieſem daͤmmernden<lb/>
Horizonte ruhte der Himmel auf des Atlas Schul-<lb/>
tern. — Auch hatte die Einbildungskraft die<lb/>
fabelhaften Gaͤrten der <hirendition="#fr">Heſperiden</hi> hieher verſetzt,<lb/>
und die Heſperiden ſelber waren Kinder der<lb/>
Nacht. — So wie aber irgend ein Land von<lb/>
Griechenland <hirendition="#fr">weſtwaͤrts</hi> lag, es mochte nun naͤ-<lb/>
her oder entfernter ſeyn, trug die Phantaſie jene<lb/>ſchwankenden Begriffe darauf uͤber. In Grie-<lb/>
chenland ſelber dachte man ſich bei dem Vorgebirge<lb/><hirendition="#fr">Taͤnarum</hi> einen Eingang in das Reich des Pluto;<lb/>
und in <hirendition="#fr">Theſprotien,</hi> dem <hirendition="#fr">weſtlichſten</hi> Theile von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[386/0460]
Die Schattenwelt.
Der Tartarus oder Erebus war eigentlich die
Wohnung der Nacht, da wo man ſich die Sonne
unterſinkend dachte, am aͤußerſten Ende der Erde,
wo auch die Behauſung des Pluto war, unter
welcher die geſtuͤrzten Titanen, die Soͤhne des
Himmels, im dunkeln Gefaͤngniß trauern muß-
ten. — Da waren aber auch in dem atlantiſchen
Ocean, nahe an den Grenzen der Nacht, die
Inſeln der Seeligen, auf denen ein ewiger Fruͤh-
ling herrſchte. — An eben dieſem daͤmmernden
Horizonte ruhte der Himmel auf des Atlas Schul-
tern. — Auch hatte die Einbildungskraft die
fabelhaften Gaͤrten der Heſperiden hieher verſetzt,
und die Heſperiden ſelber waren Kinder der
Nacht. — So wie aber irgend ein Land von
Griechenland weſtwaͤrts lag, es mochte nun naͤ-
her oder entfernter ſeyn, trug die Phantaſie jene
ſchwankenden Begriffe darauf uͤber. In Grie-
chenland ſelber dachte man ſich bei dem Vorgebirge
Taͤnarum einen Eingang in das Reich des Pluto;
und in Theſprotien, dem weſtlichſten Theile von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/460>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.