Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Paris ward bald nachher vom Philoktet mit
einem der Pfeile getödtet, die in das Blut der
Lernäischen Schlange getaucht, vom Herkules
ihm hinterlassen waren. Auch war der Fall von
Troja nun beschlossen, das nach so viel Blutver-
gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, son-
dern mit List erobert werden mußte.

Auf den Rath des Ulysses wurde nehmlich
ein ungeheuer großes hölzernes Pferd gebaut,
in dessen Bauch die Helden sich versteckten, wäh-
rend daß das Heer der Griechen sich auf die
Schiffe begab, und die Küste von Troja zum
Schein verließ. -- Nur Sinon blieb zurück, und
stellte sich als ein Flüchtling, der von den Grie-
chen verfolgt, bei den Trojanern um Schutz und
Hülfe flehte, und gleichsam wie ein Geheimniß
ihnen entdeckte, daß das hölzerne Pferd erbaut
sey, um die Minerva zu versöhnen, weil die
Griechen das Palladium, eine Bildsäule dieser
Göttin, welche das Unterpfand des Reichs war,
aus Troja entwendet hatten. -- Hierzu kam noch,
daß der Priester Laokoon, der vor dem Pferde
warnte, und mit dem Spieß in dessen Seite fuhr,
von zwei großen Schlangen, die übers Meer ka-
men, mit seinen Söhnen umwunden, und ge-
tödtet ward.

Nach dieser schrecklichen Begebenheit blieb an
Sinons Aussage kein Zweifel übrig; man eilte

Paris ward bald nachher vom Philoktet mit
einem der Pfeile getoͤdtet, die in das Blut der
Lernaͤiſchen Schlange getaucht, vom Herkules
ihm hinterlaſſen waren. Auch war der Fall von
Troja nun beſchloſſen, das nach ſo viel Blutver-
gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, ſon-
dern mit Liſt erobert werden mußte.

Auf den Rath des Ulyſſes wurde nehmlich
ein ungeheuer großes hoͤlzernes Pferd gebaut,
in deſſen Bauch die Helden ſich verſteckten, waͤh-
rend daß das Heer der Griechen ſich auf die
Schiffe begab, und die Kuͤſte von Troja zum
Schein verließ. — Nur Sinon blieb zuruͤck, und
ſtellte ſich als ein Fluͤchtling, der von den Grie-
chen verfolgt, bei den Trojanern um Schutz und
Huͤlfe flehte, und gleichſam wie ein Geheimniß
ihnen entdeckte, daß das hoͤlzerne Pferd erbaut
ſey, um die Minerva zu verſoͤhnen, weil die
Griechen das Palladium, eine Bildſaͤule dieſer
Goͤttin, welche das Unterpfand des Reichs war,
aus Troja entwendet hatten. — Hierzu kam noch,
daß der Prieſter Laokoon, der vor dem Pferde
warnte, und mit dem Spieß in deſſen Seite fuhr,
von zwei großen Schlangen, die uͤbers Meer ka-
men, mit ſeinen Soͤhnen umwunden, und ge-
toͤdtet ward.

Nach dieſer ſchrecklichen Begebenheit blieb an
Sinons Ausſage kein Zweifel uͤbrig; man eilte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0451" n="379"/>
          <p><hi rendition="#fr">Paris</hi> ward bald nachher vom <hi rendition="#fr">Philoktet</hi> mit<lb/>
einem der Pfeile geto&#x0364;dtet, die in das Blut der<lb/>
Lerna&#x0364;i&#x017F;chen Schlange getaucht, vom Herkules<lb/>
ihm hinterla&#x017F;&#x017F;en waren. Auch war der Fall von<lb/>
Troja nun be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, das nach &#x017F;o viel Blutver-<lb/>
gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, &#x017F;on-<lb/>
dern mit <hi rendition="#fr">Li&#x017F;t</hi> erobert werden mußte.</p><lb/>
          <p>Auf den Rath des <hi rendition="#fr">Uly&#x017F;&#x017F;es</hi> wurde nehmlich<lb/>
ein ungeheuer großes <hi rendition="#fr">ho&#x0364;lzernes Pferd</hi> gebaut,<lb/>
in de&#x017F;&#x017F;en Bauch die Helden &#x017F;ich ver&#x017F;teckten, wa&#x0364;h-<lb/>
rend daß das Heer der Griechen &#x017F;ich auf die<lb/>
Schiffe begab, und die Ku&#x0364;&#x017F;te von Troja zum<lb/>
Schein verließ. &#x2014; Nur <hi rendition="#fr">Sinon</hi> blieb zuru&#x0364;ck, und<lb/>
&#x017F;tellte &#x017F;ich als ein Flu&#x0364;chtling, der von den Grie-<lb/>
chen verfolgt, bei den Trojanern um Schutz und<lb/>
Hu&#x0364;lfe flehte, und gleich&#x017F;am wie ein Geheimniß<lb/>
ihnen entdeckte, daß das ho&#x0364;lzerne Pferd erbaut<lb/>
&#x017F;ey, um die Minerva zu ver&#x017F;o&#x0364;hnen, weil die<lb/>
Griechen das <hi rendition="#fr">Palladium,</hi> eine Bild&#x017F;a&#x0364;ule die&#x017F;er<lb/>
Go&#x0364;ttin, welche das Unterpfand des Reichs war,<lb/>
aus Troja entwendet hatten. &#x2014; Hierzu kam noch,<lb/>
daß der Prie&#x017F;ter <hi rendition="#fr">Laokoon,</hi> der vor dem Pferde<lb/>
warnte, und mit dem Spieß in de&#x017F;&#x017F;en Seite fuhr,<lb/>
von zwei großen Schlangen, die u&#x0364;bers Meer ka-<lb/>
men, mit &#x017F;einen So&#x0364;hnen umwunden, und ge-<lb/>
to&#x0364;dtet ward.</p><lb/>
          <p>Nach die&#x017F;er &#x017F;chrecklichen Begebenheit blieb an<lb/><hi rendition="#fr">Sinons</hi> Aus&#x017F;age kein Zweifel u&#x0364;brig; man eilte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0451] Paris ward bald nachher vom Philoktet mit einem der Pfeile getoͤdtet, die in das Blut der Lernaͤiſchen Schlange getaucht, vom Herkules ihm hinterlaſſen waren. Auch war der Fall von Troja nun beſchloſſen, das nach ſo viel Blutver- gießen, dennoch am Ende nicht mit Macht, ſon- dern mit Liſt erobert werden mußte. Auf den Rath des Ulyſſes wurde nehmlich ein ungeheuer großes hoͤlzernes Pferd gebaut, in deſſen Bauch die Helden ſich verſteckten, waͤh- rend daß das Heer der Griechen ſich auf die Schiffe begab, und die Kuͤſte von Troja zum Schein verließ. — Nur Sinon blieb zuruͤck, und ſtellte ſich als ein Fluͤchtling, der von den Grie- chen verfolgt, bei den Trojanern um Schutz und Huͤlfe flehte, und gleichſam wie ein Geheimniß ihnen entdeckte, daß das hoͤlzerne Pferd erbaut ſey, um die Minerva zu verſoͤhnen, weil die Griechen das Palladium, eine Bildſaͤule dieſer Goͤttin, welche das Unterpfand des Reichs war, aus Troja entwendet hatten. — Hierzu kam noch, daß der Prieſter Laokoon, der vor dem Pferde warnte, und mit dem Spieß in deſſen Seite fuhr, von zwei großen Schlangen, die uͤbers Meer ka- men, mit ſeinen Soͤhnen umwunden, und ge- toͤdtet ward. Nach dieſer ſchrecklichen Begebenheit blieb an Sinons Ausſage kein Zweifel uͤbrig; man eilte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/451
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/451>, abgerufen am 24.11.2024.