Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
Die tragischen Dichtungen.

Daß die Alten überhaupt in ihren Dichtungen
das Tragische liebten, siehet man aus der ganzen
Folge ihrer Götter, und Heldengeschichte. --
Das ungleiche Verhältniß der Menschen zu
den Göttern,
welches schon von ihrer Entste-
hung an sich offenbarte, ist fast in jeder Dichtung
auf irgend eine Weise in ein auffallendes Licht ge-
stellt. --

Die Götter erhöhen und stürzen nach Gefal-
len. -- Jeder Versuch eines Sterblichen mit ihrer
Macht und Hoheit sich zu messen, wird auf das
schrecklichste geahndet. -- Ihr zu naher Umgang
bringt oft ihren Lieblingen selbst den Tod. -- Ihre
wohlthätige Macht wird von der furchtbaren über-
wogen. --

Allein es gab ein Fatum, das über Götter
und Menschen herrschte. -- Durch dieß Fatum
fühlten die Sterblichen sich den Göttern gleich ge-
setzt, wenn in den hohen tragischen Dichtungen
gegen den Druck der Obermacht die langverhaltne
Erbittrung endlich ausbrach.

Die tragiſchen Dichtungen.

Daß die Alten uͤberhaupt in ihren Dichtungen
das Tragiſche liebten, ſiehet man aus der ganzen
Folge ihrer Goͤtter, und Heldengeſchichte. —
Das ungleiche Verhaͤltniß der Menſchen zu
den Goͤttern,
welches ſchon von ihrer Entſte-
hung an ſich offenbarte, iſt faſt in jeder Dichtung
auf irgend eine Weiſe in ein auffallendes Licht ge-
ſtellt. —

Die Goͤtter erhoͤhen und ſtuͤrzen nach Gefal-
len. — Jeder Verſuch eines Sterblichen mit ihrer
Macht und Hoheit ſich zu meſſen, wird auf das
ſchrecklichſte geahndet. — Ihr zu naher Umgang
bringt oft ihren Lieblingen ſelbſt den Tod. — Ihre
wohlthaͤtige Macht wird von der furchtbaren uͤber-
wogen. —

Allein es gab ein Fatum, das uͤber Goͤtter
und Menſchen herrſchte. — Durch dieß Fatum
fuͤhlten die Sterblichen ſich den Goͤttern gleich ge-
ſetzt, wenn in den hohen tragiſchen Dichtungen
gegen den Druck der Obermacht die langverhaltne
Erbittrung endlich ausbrach.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0414" n="344"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Die tragi&#x017F;chen Dichtungen.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>aß die Alten u&#x0364;berhaupt in ihren Dichtungen<lb/>
das <hi rendition="#fr">Tragi&#x017F;che</hi> liebten, &#x017F;iehet man aus der ganzen<lb/>
Folge ihrer Go&#x0364;tter, und Heldenge&#x017F;chichte. &#x2014;<lb/><hi rendition="#fr">Das ungleiche Verha&#x0364;ltniß der Men&#x017F;chen zu<lb/>
den Go&#x0364;ttern,</hi> welches &#x017F;chon von ihrer Ent&#x017F;te-<lb/>
hung an &#x017F;ich offenbarte, i&#x017F;t fa&#x017F;t in jeder Dichtung<lb/>
auf irgend eine Wei&#x017F;e in ein auffallendes Licht ge-<lb/>
&#x017F;tellt. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die Go&#x0364;tter erho&#x0364;hen und &#x017F;tu&#x0364;rzen nach Gefal-<lb/>
len. &#x2014; Jeder Ver&#x017F;uch eines Sterblichen mit ihrer<lb/>
Macht und Hoheit &#x017F;ich zu me&#x017F;&#x017F;en, wird auf das<lb/>
&#x017F;chrecklich&#x017F;te geahndet. &#x2014; Ihr zu naher Umgang<lb/>
bringt oft ihren Lieblingen &#x017F;elb&#x017F;t den Tod. &#x2014; Ihre<lb/>
wohltha&#x0364;tige Macht wird von der furchtbaren u&#x0364;ber-<lb/>
wogen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Allein es gab ein <hi rendition="#fr">Fatum,</hi> das u&#x0364;ber Go&#x0364;tter<lb/>
und Men&#x017F;chen herr&#x017F;chte. &#x2014; Durch dieß Fatum<lb/>
fu&#x0364;hlten die Sterblichen &#x017F;ich den Go&#x0364;ttern gleich ge-<lb/>
&#x017F;etzt, wenn in den hohen tragi&#x017F;chen Dichtungen<lb/>
gegen den Druck der Obermacht die langverhaltne<lb/>
Erbittrung endlich ausbrach.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0414] Die tragiſchen Dichtungen. Daß die Alten uͤberhaupt in ihren Dichtungen das Tragiſche liebten, ſiehet man aus der ganzen Folge ihrer Goͤtter, und Heldengeſchichte. — Das ungleiche Verhaͤltniß der Menſchen zu den Goͤttern, welches ſchon von ihrer Entſte- hung an ſich offenbarte, iſt faſt in jeder Dichtung auf irgend eine Weiſe in ein auffallendes Licht ge- ſtellt. — Die Goͤtter erhoͤhen und ſtuͤrzen nach Gefal- len. — Jeder Verſuch eines Sterblichen mit ihrer Macht und Hoheit ſich zu meſſen, wird auf das ſchrecklichſte geahndet. — Ihr zu naher Umgang bringt oft ihren Lieblingen ſelbſt den Tod. — Ihre wohlthaͤtige Macht wird von der furchtbaren uͤber- wogen. — Allein es gab ein Fatum, das uͤber Goͤtter und Menſchen herrſchte. — Durch dieß Fatum fuͤhlten die Sterblichen ſich den Goͤttern gleich ge- ſetzt, wenn in den hohen tragiſchen Dichtungen gegen den Druck der Obermacht die langverhaltne Erbittrung endlich ausbrach.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/414
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/414>, abgerufen am 23.12.2024.