Aber ihm nähert sich die Göttin auf ihrem mit Löwen bespannten Wagen, -- und plötzlich er- greift den Atys wieder rasende Wuth; er eilt des Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage seines Lebens in weibischer Weichlichkeit der mächti- gen Göttin zu dienen.
Tithonus.
Dieser schöne Jüngling war ein Sohn des trojanischen Königs Laomedon und Bruder des Priamus. -- Die Dichtung hüllte seinen Verlust in die Fabel ein, daß Aurora ihn einst bei seinen Heerden erblickt, und wegen seiner Schönheit ihn entführt habe.
Sie erbat vom Jupiter für ihn die Unsterb- lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewährt. -- Nun hieß es in der Dichtersprache, daß Aurora jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em- porstiege, um am Himmel zu glänzen. Aurora erzeugte mit ihm den Mnemon, dessen schon ge- dacht ist, wie die metallne Seule, die nach sei- nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang von sich gab, so oft die ersten Strahlen der auf- gehenden Sonne sie beschienen.
Das Glück des Tithonus aber, in Aurorens Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen. Aurora hatte aus der Acht gelassen, mit der Un-
Aber ihm naͤhert ſich die Goͤttin auf ihrem mit Loͤwen beſpannten Wagen, — und ploͤtzlich er- greift den Atys wieder raſende Wuth; er eilt des Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage ſeines Lebens in weibiſcher Weichlichkeit der maͤchti- gen Goͤttin zu dienen.
Tithonus.
Dieſer ſchoͤne Juͤngling war ein Sohn des trojaniſchen Koͤnigs Laomedon und Bruder des Priamus. — Die Dichtung huͤllte ſeinen Verluſt in die Fabel ein, daß Aurora ihn einſt bei ſeinen Heerden erblickt, und wegen ſeiner Schoͤnheit ihn entfuͤhrt habe.
Sie erbat vom Jupiter fuͤr ihn die Unſterb- lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewaͤhrt. — Nun hieß es in der Dichterſprache, daß Aurora jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em- porſtiege, um am Himmel zu glaͤnzen. Aurora erzeugte mit ihm den Mnemon, deſſen ſchon ge- dacht iſt, wie die metallne Seule, die nach ſei- nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang von ſich gab, ſo oft die erſten Strahlen der auf- gehenden Sonne ſie beſchienen.
Das Gluͤck des Tithonus aber, in Aurorens Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen. Aurora hatte aus der Acht gelaſſen, mit der Un-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0402"n="334"/><p>Aber ihm naͤhert ſich die Goͤttin auf ihrem mit<lb/>
Loͤwen beſpannten Wagen, — und ploͤtzlich er-<lb/>
greift den Atys wieder raſende Wuth; er eilt des<lb/>
Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage<lb/>ſeines Lebens in weibiſcher Weichlichkeit der maͤchti-<lb/>
gen Goͤttin zu dienen.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Tithonus</hi>.</hi></head><lb/><p>Dieſer ſchoͤne Juͤngling war ein Sohn des<lb/>
trojaniſchen Koͤnigs Laomedon und Bruder des<lb/>
Priamus. — Die Dichtung huͤllte ſeinen Verluſt<lb/>
in die Fabel ein, daß <hirendition="#fr">Aurora</hi> ihn einſt bei ſeinen<lb/>
Heerden erblickt, und wegen ſeiner Schoͤnheit ihn<lb/>
entfuͤhrt habe.</p><lb/><p>Sie erbat vom Jupiter fuͤr ihn die Unſterb-<lb/>
lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewaͤhrt. —<lb/>
Nun hieß es in der Dichterſprache, daß Aurora<lb/>
jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em-<lb/>
porſtiege, um am Himmel zu glaͤnzen. Aurora<lb/>
erzeugte mit ihm den <hirendition="#fr">Mnemon,</hi> deſſen ſchon ge-<lb/>
dacht iſt, wie die metallne Seule, die nach ſei-<lb/>
nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang<lb/>
von ſich gab, ſo oft die erſten Strahlen der auf-<lb/>
gehenden Sonne ſie beſchienen.</p><lb/><p>Das Gluͤck des Tithonus aber, in Aurorens<lb/>
Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen.<lb/>
Aurora hatte aus der Acht gelaſſen, mit der Un-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[334/0402]
Aber ihm naͤhert ſich die Goͤttin auf ihrem mit
Loͤwen beſpannten Wagen, — und ploͤtzlich er-
greift den Atys wieder raſende Wuth; er eilt des
Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage
ſeines Lebens in weibiſcher Weichlichkeit der maͤchti-
gen Goͤttin zu dienen.
Tithonus.
Dieſer ſchoͤne Juͤngling war ein Sohn des
trojaniſchen Koͤnigs Laomedon und Bruder des
Priamus. — Die Dichtung huͤllte ſeinen Verluſt
in die Fabel ein, daß Aurora ihn einſt bei ſeinen
Heerden erblickt, und wegen ſeiner Schoͤnheit ihn
entfuͤhrt habe.
Sie erbat vom Jupiter fuͤr ihn die Unſterb-
lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewaͤhrt. —
Nun hieß es in der Dichterſprache, daß Aurora
jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em-
porſtiege, um am Himmel zu glaͤnzen. Aurora
erzeugte mit ihm den Mnemon, deſſen ſchon ge-
dacht iſt, wie die metallne Seule, die nach ſei-
nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang
von ſich gab, ſo oft die erſten Strahlen der auf-
gehenden Sonne ſie beſchienen.
Das Gluͤck des Tithonus aber, in Aurorens
Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen.
Aurora hatte aus der Acht gelaſſen, mit der Un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/402>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.