die Gränzen von Megara kam, überwand er den Skiron, und stürzte ihn von demselbigen steilen Fels ins Meer, von welchem dieser Tyrann die Reisenden, die vorbeikamen, hinunter zu stür- zen pflegte.
In Eleusis mußte Theseus mit dem Kerkyon kämpfen, den er überwand und tödtete; und als er nicht weit davon in Hermione anlangte, be- siegte er den Damastes, den man wegen der besondern Art von Grausamkeit, womit er die Fremden mißhandelte, den Ausdehner oder Prokrustes nannte.
Dieser Prokrustes hatte nehmlich zwei eiserne Betten von verschiedner Länge, worinn er die Fremden legte. Die kurzen Personen legte er in das lange, und dehnte ihre Körper mit Gewalt bis zu der Länge des Bettes aus; die langen Per- sonen legte er in das kurze, und was über die Länge des Bettes reichte, hieb er von ihren Füßen ab.
Es scheint, als wolle diese Dichtung die Ver- letzung des Gastrechtes in ihrem hassenswürdigsten Lichte darstellen; denn man kann sich nichts Grau- samers denken, als daß selbst die Lagerstätte, die den müden Wandrer erquicken sollte, von dem Ty- rannen zur Folterbank gemacht wurde.
Die Heiligkeit des Gastrechts war es, unter dessen Schutz die Menschen zuerst einander sich mit- theilen, und wechselseitig sich bilden konnten. Die
die Graͤnzen von Megara kam, uͤberwand er den Skiron, und ſtuͤrzte ihn von demſelbigen ſteilen Fels ins Meer, von welchem dieſer Tyrann die Reiſenden, die vorbeikamen, hinunter zu ſtuͤr- zen pflegte.
In Eleuſis mußte Theſeus mit dem Kerkyon kaͤmpfen, den er uͤberwand und toͤdtete; und als er nicht weit davon in Hermione anlangte, be- ſiegte er den Damaſtes, den man wegen der beſondern Art von Grauſamkeit, womit er die Fremden mißhandelte, den Ausdehner oder Prokruſtes nannte.
Dieſer Prokruſtes hatte nehmlich zwei eiſerne Betten von verſchiedner Laͤnge, worinn er die Fremden legte. Die kurzen Perſonen legte er in das lange, und dehnte ihre Koͤrper mit Gewalt bis zu der Laͤnge des Bettes aus; die langen Per- ſonen legte er in das kurze, und was uͤber die Laͤnge des Bettes reichte, hieb er von ihren Fuͤßen ab.
Es ſcheint, als wolle dieſe Dichtung die Ver- letzung des Gaſtrechtes in ihrem haſſenswuͤrdigſten Lichte darſtellen; denn man kann ſich nichts Grau- ſamers denken, als daß ſelbſt die Lagerſtaͤtte, die den muͤden Wandrer erquicken ſollte, von dem Ty- rannen zur Folterbank gemacht wurde.
Die Heiligkeit des Gaſtrechts war es, unter deſſen Schutz die Menſchen zuerſt einander ſich mit- theilen, und wechſelſeitig ſich bilden konnten. Die
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die Graͤnzen von Megara kam, uͤberwand er
den Skiron, und ſtuͤrzte ihn von demſelbigen
ſteilen Fels ins Meer, von welchem dieſer Tyrann
die Reiſenden, die vorbeikamen, hinunter zu ſtuͤr-
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In Eleuſis mußte Theſeus mit dem Kerkyon
kaͤmpfen, den er uͤberwand und toͤdtete; und als
er nicht weit davon in Hermione anlangte, be-
ſiegte er den Damaſtes, den man wegen der
beſondern Art von Grauſamkeit, womit er die
Fremden mißhandelte, den Ausdehner oder
Prokruſtes nannte.
Dieſer Prokruſtes hatte nehmlich zwei eiſerne
Betten von verſchiedner Laͤnge, worinn er die
Fremden legte. Die kurzen Perſonen legte er in
das lange, und dehnte ihre Koͤrper mit Gewalt
bis zu der Laͤnge des Bettes aus; die langen Per-
ſonen legte er in das kurze, und was uͤber die Laͤnge
des Bettes reichte, hieb er von ihren Fuͤßen ab.
Es ſcheint, als wolle dieſe Dichtung die Ver-
letzung des Gaſtrechtes in ihrem haſſenswuͤrdigſten
Lichte darſtellen; denn man kann ſich nichts Grau-
ſamers denken, als daß ſelbſt die Lagerſtaͤtte, die
den muͤden Wandrer erquicken ſollte, von dem Ty-
rannen zur Folterbank gemacht wurde.
Die Heiligkeit des Gaſtrechts war es, unter
deſſen Schutz die Menſchen zuerſt einander ſich mit-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/348>, abgerufen am 28.11.2024.
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