Pelias, welcher bei diesem Antrage in die Seele des jungen Helden blickte, zweifelte nicht, ihn durch den anspornenden Reitz zu irgend einer ruhmvollen That für jetzt noch zu entfernen. -- Er stellte sich, als sey er bereit, die Krone nieder- zulegen, wenn nur die Manen des Phryxus, der auch vom Aeolus stammte, und in dem ent- fernten Kolchis seinen Tod fand, erst versöhnt, und das goldne Fließ, was jener dorthin ge- bracht, erst wieder erbeutet wäre.
Dieser Phryxus, welcher in Kolchis starb, war nehmlich ein Sohn des Athamas, und des Aeolus Enkel. -- Athamas, der in Böotien herrschte, hatte mit der Nephele den Phryxus und die Helle erzeugt, nachher aber mit der Ino, des Kadmus Tochter, sich vermählt, die jene bei- den Kinder des Athamas mit stiefmütterlichem Haß verfolgte, und ihren Tod beschloß.
Nephele erschien ihren Kindern, und ent- deckte ihnen die Gefahr, worin sie schwebten, Schlachtopfer von Inos Haß zu werden, wenn sie nicht schnell die Flucht ergriffen, zu deren Be- förderung schon ein Widder mit goldnem Fell bereit stand, der auf den Wink der Götter den Phryxus und die Helle über Länder und Meere auf seinem Rücken trug.
Die Fahrt ging gegen Morgen nach dem ent- fernten Kolchis, wo Aeetes, ein Sohn der Sonne
Pelias, welcher bei dieſem Antrage in die Seele des jungen Helden blickte, zweifelte nicht, ihn durch den anſpornenden Reitz zu irgend einer ruhmvollen That fuͤr jetzt noch zu entfernen. — Er ſtellte ſich, als ſey er bereit, die Krone nieder- zulegen, wenn nur die Manen des Phryxus, der auch vom Aeolus ſtammte, und in dem ent- fernten Kolchis ſeinen Tod fand, erſt verſoͤhnt, und das goldne Fließ, was jener dorthin ge- bracht, erſt wieder erbeutet waͤre.
Dieſer Phryxus, welcher in Kolchis ſtarb, war nehmlich ein Sohn des Athamas, und des Aeolus Enkel. — Athamas, der in Boͤotien herrſchte, hatte mit der Nephele den Phryxus und die Helle erzeugt, nachher aber mit der Ino, des Kadmus Tochter, ſich vermaͤhlt, die jene bei- den Kinder des Athamas mit ſtiefmuͤtterlichem Haß verfolgte, und ihren Tod beſchloß.
Nephele erſchien ihren Kindern, und ent- deckte ihnen die Gefahr, worin ſie ſchwebten, Schlachtopfer von Inos Haß zu werden, wenn ſie nicht ſchnell die Flucht ergriffen, zu deren Be- foͤrderung ſchon ein Widder mit goldnem Fell bereit ſtand, der auf den Wink der Goͤtter den Phryxus und die Helle uͤber Laͤnder und Meere auf ſeinem Ruͤcken trug.
Die Fahrt ging gegen Morgen nach dem ent- fernten Kolchis, wo Aeetes, ein Sohn der Sonne
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Pelias, welcher bei dieſem Antrage in die
Seele des jungen Helden blickte, zweifelte nicht,
ihn durch den anſpornenden Reitz zu irgend einer
ruhmvollen That fuͤr jetzt noch zu entfernen. —
Er ſtellte ſich, als ſey er bereit, die Krone nieder-
zulegen, wenn nur die Manen des Phryxus,
der auch vom Aeolus ſtammte, und in dem ent-
fernten Kolchis ſeinen Tod fand, erſt verſoͤhnt,
und das goldne Fließ, was jener dorthin ge-
bracht, erſt wieder erbeutet waͤre.
Dieſer Phryxus, welcher in Kolchis ſtarb,
war nehmlich ein Sohn des Athamas, und des
Aeolus Enkel. — Athamas, der in Boͤotien
herrſchte, hatte mit der Nephele den Phryxus
und die Helle erzeugt, nachher aber mit der Ino,
des Kadmus Tochter, ſich vermaͤhlt, die jene bei-
den Kinder des Athamas mit ſtiefmuͤtterlichem Haß
verfolgte, und ihren Tod beſchloß.
Nephele erſchien ihren Kindern, und ent-
deckte ihnen die Gefahr, worin ſie ſchwebten,
Schlachtopfer von Inos Haß zu werden, wenn
ſie nicht ſchnell die Flucht ergriffen, zu deren Be-
foͤrderung ſchon ein Widder mit goldnem Fell
bereit ſtand, der auf den Wink der Goͤtter den
Phryxus und die Helle uͤber Laͤnder und Meere
auf ſeinem Ruͤcken trug.
Die Fahrt ging gegen Morgen nach dem ent-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/314>, abgerufen am 25.11.2024.
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